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Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker
Autoren: Sonja Ullrich
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der Dorstener Straße Nummer 100 und irgendwas. Ich lebte in Bochum-Hamme, einem gewachsenen Viertel nordwestlich der Innenstadt, wo sich Türke und Russe gute Nacht sagen. Seit vier Jahren bewohnte ich das Dachgeschoss eines Mehrfamilienhauses und bereute es jeden Tag. Im Erdgeschoss war das Adolfo’s zu Hause, ein griechisch-indisch geführtes Restaurant mit italienischer Küche. Mit Anastasios, dem Ranghöchsten der drei Inhaber, war ich seit meinem Einzug per Du und wir verstanden uns bisweilen sehr gut. Das Verhältnis hatte sich jedoch ein wenig abgekühlt, seit er sich im letzten Monat mit einer Leiche konfrontiert gesehen hatte. Sie hatte in meinem Flur gelegen und war, wenn man es genauer betrachtete, auch nicht die einzige tote Gestalt in meiner Wohnung gewesen. Aber ich wollte weder seine Nerven noch unsere Freundschaft überstrapazieren und ihn nachträglich darüber aufklären.
    Ich stiefelte die Treppen hinauf. Auf Höhe der zweiten Etage wurde daraus ein Kriechen und im Dachgeschoss hing ich mit der Brust über dem Treppengeländer. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss, stieß die Tür auf und nahm einen tiefen Atemzug schattiger Luft. Sämtliche Rollläden waren heruntergelassen und ich schaltete das Flurlicht ein, ehe ich ins Bad ging. Ein Drittel des grob eineinhalb Quadratmeter messenden Raumes beanspruchte bereits die Wanne. Es reichte, um sich nach der Dusche zum Wandspiegel zu drehen oder sich im Anschluss an die Toilette die Hände zu waschen. Die Keramik war rosa, die Decke mit weißen Holzpaneelen verkleidet. Wahrscheinlich schimmelte es darunter wie in der Obstschublade meines Kühlschranks, aber solange ich keine Sporen an den Rändern sah, wähnte ich mich in Sicherheit. Ich machte einen kurzen Check-up im Spiegel, puderte meinen Kratzer auf der Wange und klopfte mir noch einmal den Dreck von den Klamotten. Dann sammelte ich jene Sachen zusammen, für die ich noch einmal heimgefahren war, schulterte die Tasche und verließ das Haus.
    Als ich die Haustür öffnete, kippte mir ein Stapel schwüler Luft über den Kopf. In Hamme war sie breiiger als in Linden. Sie war geschichtet wie Lasagne, roch je nach Körpergröße nach Abgasen, Frittierfett oder Bier, und der Duft von Knoblauch und Pizza, der aus dem Türspalt des Adolfo’s drang, tat sein Übriges. Eigentlich mochte ich dieses Odeur. Es war der Geruch der Heimat. Aber im Sommer lag er schwer in den Lungen und machte mich müde.
    Ich riss die Fahrertür meines Twingos auf und ließ den abgestandenen Brodem aus dem Innenraum über meine Füße fließen. Mit zwei Fingern machte ich an der Kurbel herum und öffnete die Fenster. Dann drehte ich den Motor auf, um mir auf dem Ruhrschnellweg den Fahrtwind ordentlich durch die Haare blasen zu lassen. Bis nach Dortmund-Eving brauchte ich eine halbe Stunde und ich lag gut in der Zeit. Eine Schneckentour auf der Sauerlandlinie bei offenen Fenstern dürfte also allemal drin sein. Ich sah erneut auf die Uhr, es war Viertel nach zwölf. Olaf hatte einen Plausch um eins veranschlagt.
    Olaf war mein Bruder. Er war drei Jahre älter als ich, nach seiner Scheidung alleinstehend und arbeitete als Lokalreporter in der Dortmunder Redaktion der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung. Da er in Lünen ohne Garten wohnte, bevorzugte er ein Treffen auf dem Rasen unserer Eltern. Dadurch konnte er seinen Töchtern etwas Auslauf gönnen. Mir war es recht, solange ich mit meinem Vater nicht die verquere Debatte über Unfallversicherungsentschädigungen fortsetzen musste.
    Vor zwei Jahren hatte Paps eine Unfallversicherung abgeschlossen in der Hoffnung, mit der Ungeschicklichkeit meiner Mutter ein paar Euro dazuzuverdienen. Doch zum wiederholten Male hatte sich die Versicherung geweigert, eine Entschädigung zu zahlen, mit der Begründung, dass Mutti zum Zeitpunkt des Unfalls zwar unstrittig ungeschickt, aber vornehmlich auch hackenstramm gewesen war. Daher wurde ich, die Versicherungsdetektivin, wieder einmal zum Aderlass herangerufen in der Erwartung, eine adäquate Lösung zu finden. Doch da die erste legale Lösung, die mir einfiel – nämlich die, dass Mutti mit dem Trinken aufhörte – nicht debattierfähig war, wurde das Thema bis auf Weiteres aufgeschoben.
    Olaf versprach, dass Paps gegen eins nicht zu Hause sein würde. Ich hoffte trotzdem, sein Anliegen würde mich nicht allzu lange in Anspruch nehmen.
     
    Meine Eltern wohnten in einer denkmalgeschützten Zechenkolonie in Dortmund-Eving. Das Haus war ein
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