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Für jede Lösung ein Problem

Für jede Lösung ein Problem

Titel: Für jede Lösung ein Problem
Autoren: Kerstin Gier
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    So, und damit hatte ich ja einen Grund. Bodenlose Enttäuschung eben.
    »Also, das finde ich jetzt nicht nett von Ihnen«, konnte ich dann sagen, bevor ich energisch die Aus-Taste drückte. »Erst machen Sie mir den Mund mit Paul McCartney wässrig, und jetzt wollen Sie mich so billig abspeisen. Wie soll mir denn ein Auto bitteschön im Haushalt helfen, hm? Und dann auch noch ein Cabrio! Wo ich doch so empfindlich gegen Zugluft bin! Rufen Sie hier nie wieder an! Let it be!«
    Damit war ich den Anrufer zwar los, hatte aber trotzdem ein schlechtes Gewissen. Weil ich ja schon wieder kein Dauerlos gekauft hatte.
    Aber das Problem hatte ich heute, dank meiner Eigendiagnose im Internet, nicht. Sie glauben ja gar nicht, wie schnell selbst hervorragend geschulte Telefonmarketing-Profis den Hörer auflegen, wenn man ihnen erzählt, dass man unter neurotischen Depressionen leidet. Spätestens, wenn man versucht, den Unterschied zwischen neurotischen und psychotischen Verstimmungen zu erklären. Und man braucht absolut kein schlechtes Gewissen mehr zu haben!
    ***
    Nachdem ich die Frau so überraschend einfach losgeworden war, klebte ich mich wieder vor den Bildschirm, um mehr über mich und meine Depressionen zu erfahren. Es war eine wirklich deprimierende Lektüre. Immerhin, las ich, waren die Beschwerden von uns neurotisch Depressiven im Gegensatz zu den psychotisch Depressiven auf Grund einer wie auch immer gearteten Konfliktlage verständlich und einigermaßen nachvollziehbar.
    Ach ja?
    Aber wer machte sich schon die Mühe, zu verstehen, dass man sich überhaupt in einer Konfliktlage befand ? Möglicherweise wäre ich mit meiner depressiven Verstimmung dann auf Verständnis gestoßen, wenn meine ganze Familie gerade von einer Lawine verschüttetworden wäre, aber sicher verstand niemand, warum ich am liebsten sterben wollte, weil meine beste Freundin ein Kind erwartete.
    Ich verstand es ja selber nicht.
    »Hör auf zu jammern und fang an, positiv zu denken« – schon als Kind habe ich diesen Satz gehasst. Meine Mutter hat ihn beinahe an jedem Tag meines Lebens zu mir gesagt.
    Jahrelang habe ich mit mir selbst gehadert, weil ich es einfach nicht schaffte, positiv zu denken. Über Klaus Köhler zum Beispiel. Oder über meisenfreund007 . Hätte ich positiv über Menschen gedacht, die in Restaurants Zucker von der Tischdecke lecken, hätte ich nie die Hintertür benutzen müssen. Positivdenken ist, so betrachtet, eine absolut idiotensichere Methode der Problemlösung. Selbst dann, wenn es den Gesetzen der Logik zur Folge eigentlich gar keine Lösung gibt, so unlogisch das auch klingen mag.
    Es war schrecklich für einen analytischen Menschen wie mich, die Lösung eines Problems direkt vor Augen zu haben, aber trotzdem nicht nutzen zu können. Jetzt, wo ich mich im Internet schlau machte, wusste ich endlich, warum: »Positives Denken« gehört definitiv nicht zum Repertoire eines Menschen mit neurotischen Depressionen.
    Ich musste diese Neigung wohl schon als Kind gehabt haben, denn mir fiel beim Lesen sofort die Sache mit dem Schokoladenosterhasen ein. Ich war acht Jahre alt gewesen und hatte ihn sehr in mein Herz geschlossen, diesen Osterhasen, so sehr, dass ich beschlossen hatte, ihn nicht zu essen, sondern mit ihm zusammen alt zu werden.
    Aber meine verfressene Schwester Lulu hatte bereits alle ihre Süßigkeiten aufgefuttert, und jetzt war sie scharf auf Ralf.
    Damals war meine Mutter gerade auf einem Gesundheits- und Reformhaustrip, und Süßigkeiten waren in unserem Haushalt sehr rar gesät. Es gab sie nur zu Weihnachten und zu Ostern. Wenn Besuch kam, der uns Schokolade oder Smarties mitbrachte, wurden die Sachen von meiner Mutter konfisziert und nur smartieweise wieder herausgegeben. Manchmal kauften wir Süßigkeiten von unserem Taschengeld,aber das war streng verboten, und die Sachen mussten daher außerhalb des Hauses unter strengen Sicherheitsvorkehrungen verschlungen werden, was wenig befriedigend war. Wir beneideten alle Kinder, in deren Haushalt es eine frei zugängliche Nasch-Schublade gab, und wir neigten dazu, uns mit diesen Kindern enger zu befreunden als mit anderen. Charly war wahrscheinlich nur deshalb meine beste Freundin geworden, weil sie so
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