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Fuer immer und ledig - Roman

Fuer immer und ledig - Roman

Titel: Fuer immer und ledig - Roman
Autoren: Henrike Heiland
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Epochen. Und spiele dir was vor. Du musst gar nichts tun. Nur zuhören.«
    Erleichtert rutschte er von der Klavierbank und ließ den »Jungen Pianist« schneller in der Tasche verschwinden, als es unter Berücksichtigung aller physikalischer Begebenheiten auf dem Planeten Erde möglich sein konnte.
    Er hasste es wirklich.
    Wir kamen in der Stunde nicht besonders weit, da ich merkte, wie aufmerksam er wurde, als ich anfing, die historischen Figuren nachzuspielen. Besonders in meinen Johann Sebastian Bach hatte er sich verliebt, weshalb ich mich unverhältnismäßig lange im Barock aufhielt und über die Spielchen mit den Tönen b, a, c, h, die Bach in seinen Stücken so gerne getrieben hatte, schwadronierte. Ich fegte ihm gerade etwas aus den Brandenburgischen Konzerten um die Ohren, als die Tür aufging und ein unverhältnismäßig gut gekleideter und bemerkenswert attraktiver blonder Mann mit strahlend blauen Augen wie angewurzelt im Rahmen stehen blieb. Das also war Ina von Lahnsteins Mann. Dass sie Geschmack hatte, wusste ich ja. Aber ich hätte mit einem älteren, bestenfalls mittelmäßig aussehenden Herrn gerechnet. Einer von der Sorte, bei der mangelnde körperliche Reize durch ein wesentlich attraktiveres Bankkonto ausgeglichen wurden. Dieser Herr
jedoch wirkte vergleichsweise jugendlich und ehrlich gesagt sogar sexy. Oder vielmehr, er hätte sexy wirken können, würde er nicht gerade so aussehen, als träfe ihn der Schlag. Seine Frau hatte ihm wohl vergessen zu sagen, dass wir uns in einem besetzten Haus befanden und er sich möglicherweise die Schuhe schmutzig machen könnte.
    Oscar sprang auf, als hätte sein Vater uns beim Nackttanzen auf dem Flügel ertappt. »Ja, also dann, vielen Dank, Frau Baader, das übe ich für nächste Woche«, sagte der Junge geistesgegenwärtig, nachdem sein Architekturbuch mit Lichtgeschwindigkeit und für ein normales menschliches Auge nicht wahrnehmbar in seiner Ledermappe verschwunden war.
    Oscars Vater umgab immer noch eine nicht zu leugnende Fassungslosigkeit, und diese schien sich nicht nur auf das Gebäude zu beziehen, sondern auch auf mich auszuweiten. » Sie sind Oscars Klavierlehrerin?«
    Okay, für jemanden, der in einer Alstervilla lebte und sein ganzes Leben wahrscheinlich nur mit Von-und-zus zugebracht hatte, mochte es schwer vorstellbar sein, dass sich nicht jeder ein eigenes Musikzimmer in seinem Palast leisten konnte. Und ich entsprach sicher nicht seinem Bild von einer Klavierlehrerin. In seiner Welt hatten Klavierlehrerinnen langes mittelblondes Haar - zum Zopf gebunden -, vernünftige Schuhe - so wie die von Jörgs zweiter Geige -, einen Faltenrock und eine zugeknöpfte Bluse. Aber ich war doch davon ausgegangen, dass sich Oscars Eltern wenigstens ab und zu
mal unterhielten und dabei in den vergangenen zwei Jahren wenn schon nicht über das besetzte Haus, dann doch wenigstens auch einmal über die Klavierlehrerin ihres gemeinsamen Sohnes gesprochen hatten. Wahrscheinlich hatte ich da aber ganz kleinbürgerliche Vorstellungen.
    »Passt Ihnen irgendetwas nicht?«, fragte ich scharf.
    Oscars Vater erschrak angesichts meines Tons und schnappte nach Luft. »Ich dachte ja nur…«, murmelte er und warf mir einen sehr seltsamen Blick zu. Dann irrten seine Augen durch den Raum.
    Ich hatte ein altes, zerschlissenes rotes Samtsofa, auf dem bequem vier Leute Platz hatten, und ein etwas angeknackstes Nierentischchen (mit Sicherheit ein Originalstück) für das Rumlümmeln in meinen Übungspausen angeschleppt. Die Beleuchtung war ebenfalls ein wenig improvisiert, Lampenschirme und Leuchten vom Dachboden meiner Eltern, und dem Aussehen nach stammten sie noch von deren Eltern aus den Fünfzigern. Auf dem Boden lag ein ziemlich heruntergekommener, von diversen Hauskatzen zerfetzter blauer Perserteppich, und die Wände hatte ich mit Schwarz-Weiß-Postern von Artur Rubinstein, Vladimir Horowitz, Leonard Bernstein und Alfred Brendel verziert. Die vier Herren, die mir hier Gesellschaft leisteten, waren allesamt in Momenten höchster Konzentration und/oder Ekstase abgelichtet worden.
    Ich selbst trug blaue Docs zu Schlaghosenjeans und einer militärgrünen Jacke mit aufgestickten Rosen. Oscars
Mutter, das wusste ich, fand mich hinreißend und sagte alle zwei Wochen: »Wenn ich so schwarze Haare hätte wie Sie, ich würde sie mir bis zu den Knien wachsen lassen.« (Sie waren nicht schwarz, sie waren dunkelbraun, aber gemessen an ihrem makellosen Naturhellblond gingen sie
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