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Für hier oder zum Mitnehmen?

Für hier oder zum Mitnehmen?

Titel: Für hier oder zum Mitnehmen?
Autoren: Ansgar Oberholz
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Eröffnungsfeier begleitet hatte. Ein bisschen Abstand würde ihnen mal guttun, hatte Florian meine Verwunderung beiseitegewischt. Wäre ich damals nicht so beschäftigt gewesen, hätte ich vielleicht nachgehakt. Florian blieb nur Dörte, eine alte, klapprige Mischlingshündin, mit der er kurzentschlossen nach Berlin zog, um einen Neuanfang zu wagen.
    Das Klappern des Werkzeuges, das Klamotte in sein altes Postauto sortiert, holt mich zurück an den Rosenthaler Platz. Erschöpft schaue ich Klamotte zu und freue mich über die Konzessionserteilung, an der fast alle Ämter dieses Bezirkes beteiligt waren. Die Dusche lassen wir noch kurz stehen, in den nächsten Tagen werden wir sie abbauen. Ein großes Problem weniger, aber es bleiben noch ausreichend Probleme übrig.
    Am Monatsanfang werden Miete und Darlehensrate fällig. Ich habe keine Ahnung, wovon ich das bezahlen soll, es sei denn, das Café erfährt in den nächsten Tagen eine Umsatzsteigerung von dreitausend Prozent. Jeden Tag entstehen automatisch Kosten, selbst wenn ich den Laden wieder schließen würde. Ein bedrückender Effekt, den ich aus dem Projektgeschäft der Agentur nicht kannte.
    Vielleicht bin ich doch kein Gastronom. Ich wollte raus aus dem Projektgeschäft. Ich wollte nicht mehr abhängig sein von wenigen großen, zumeist anstrengenden Kunden und deren Aufträgen. Nicht mehr verhandeln müssen über Honorare und Produktionskosten. Nicht mehr zusehen müssen, wie immer die zweitbeste Lösung ausgewählt wird. Und ich wollte raus aus dem Projektgeschäft meiner Freunde und Bekannten. Alles wird zum Projekt, und jeder steckt gerade in einem: Nullnummern von Zeitschriften zusammenbauen, Bands gründen, Kunstaktionen aller Art, aber auch Liebesbeziehungen, das Gründen von Wohngemeinschaften. Sogar die Nachwuchsplanung ist zum Projekt geworden.
    Seit meiner Kindheit war ich leidenschaftlicher Gast. Schon früh nahm ich mir vor, mit fünfzig ein Restaurant zu eröffnen. Seit mich das leere Haus am Rosenthaler Platz geküsst hat, ließ mich die Idee nicht mehr los: Viele kleine Kunden ohne Projekte, von denen ich unabhängig bin. Wem der Kaffee zu teuer ist, der kann woanders hingehen. Ich muss nicht Preise verhandeln oder nach Abschluss des Auftrages Abzüge hinnehmen, um den Kunden nicht zu verlieren. Und ich könnte mich viel besser aus dem operativen Tagesgeschäft heraushalten. So hoffte ich.
    Mit Hilfe meines abgebrochenen Philosophie-, Physik- und Mathematikstudiums und meiner Erfahrung aus der Werbebranche wollte ich die Gastronomie ganz neu denken. Insgeheim hatte ich über die Kollegen in anderen Etablissements gelächelt. Stoffhandtücher wollte ich nutzen, auch wenn ich keine Edelgastronomie betreiben würde, flache Hierarchien einführen, selbstverantwortliche Gestaltungsspielräume für meine Mitarbeiter und für meine Gäste anbieten. Deshalb auch trotz der Größe des Cafés ein Selbstbedienungskonzept – Selbstbestimmung des Gastes.
    Klamotte schließt krachend die Schiebetür seines Postautos.
    »Klamotte, hast du noch einen Moment Zeit für mich?«
    »Logisch hab ick Zeit für dich, schließlich blechste ja ooch dafür.«
    Wir überqueren die Kreuzung und stellen uns auf die andere Seite des Platzes, direkt gegenüber der ehemaligen Aschinger-Bierquelle.
    »Was siehst du, wenn du auf dieses schöne Haus schaust?«, frage ich Klamotte.
    Auf den ersten Blick ist das Eckgebäude keine Schönheit, aber ungewöhnlich. Vor dem Zweiten Weltkrieg war es sicherlich das auffälligste Haus am Platz. Auf jeder Etage sind die Balkone und Fenster anders angeordnet. Die Fenster im oberen Stockwerk laufen spitz nach oben zu, sie könnten problemlos in einer Moschee verbaut werden. Damals besaß die Fassade überbordende Stuckarbeiten, auf der Ecke ein kleines Türmchen. Auf dem Dach neben dem Türmchen befand sich ein Glasaufsatz, in dem ein Fotoatelier betrieben wurde. Heute fehlen sämtliche Stuckverzierungen, das Türmchen und das Fotoatelier, aber die ungewöhnliche Rhythmik der Fassade ist noch zu spüren.
    Die Außenwände des gesamten Erdgeschosses waren ursprünglich mit weiß-blauen Rauten geschmückt. Die Gebrüder Aschinger kamen aus dem Württembergischen und brachten ein neues Bierkonzept mit nach Berlin. Sie waren die Ersten, die mehrere Biersorten in einer Lokalität anboten. Die Aschingers waren erfolgreiche Gastronomen, die Bierquelle hier am Rosenthaler Platz war bereits ihr neuntes Lokal.
    Wie könnte ich an den alten Erfolg
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