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Für hier oder zum Mitnehmen?

Für hier oder zum Mitnehmen?

Titel: Für hier oder zum Mitnehmen?
Autoren: Ansgar Oberholz
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trägt einen grauen, schweren Mantel und pantoffelartige Schuhe, mit denen er schlappend geht, als ob die Schuhe ihm von den Füßen fliegen könnten, wenn sie den Kontakt zum Boden verlören. Er hat tiefschwarzes, halblanges Haar, das immer einigermaßen gepflegt ist und an den Seiten vom Kopf absteht. Mit seinem struppigen Bart sieht er aus wie ein mittelalterlicher Mönch.
    Die beiden kommen mehrmals täglich in das Café, um die Berliner Obdachlosenzeitung Motz zu verkaufen. Der General hat stets einen kleinen Stapel auf seinem Schoß liegen. An diesem Vormittag sind sie bereits zum dritten Mal hier, auch sie haben bemerkt, dass sich mittlerweile Gäste einfinden. Aber gerade jetzt, durch die Anwesenheit von Gästen, wird mir klar, dass die beiden viel zu oft zu Besuch kommen.
    »Na, wie geht’s euch?« Ich beuge mich nach unten, um dem General ins Gesicht zu schauen. Er quittiert meine Geste mit leichtem Kopfheben, kurzem Blick und heiserem Lachen, seine Wangen sind eingefallen.
    »Na ja, ganz ok. Wird ja nun immer kälter, und wir haben ja keene Bleibe«, antwortete Fred. Den General habe ich außer seinem Zeitungsverkäuferspruch noch nie ein Wort sagen hören.
    »Gibt es denn für den Winter nicht diese Notunterkünfte der Arbeiterwohlfahrt?«
    »Ach, wir finden schon immer irjendwat für die Nacht, tagsüber is eher ein Problem. Orte, an denen man sich mal kurz aufwärmen kann, so wie hier.«
    »Das ist ein gutes Stichwort«, hake ich ein. »Eigentlich geht es nicht, dass ihr dauernd hierher betteln kommt.«
    Ich mag die beiden, und ich empfinde Mitleid, aber ich habe auch Angst, die wenigen Gäste zu vergraulen.
    »Nee, Chef, komm, dit kannste uns nich antun!« Fred ist jetzt hellwach und tritt auf mich zu, er riecht nach ungewaschenem Haar und billigem Alkohol. »Wir betteln doch nicht, wir verkaufen die selbstverlegte Obdachlosenzeitschrift, dis ist ein Riesenunterschied!«
    Der General wippt heftig nickend, sein Rollstuhl bewegt sich dabei rhythmisch ein wenig nach vorn und hinten.
    »Dis is eine Art Service für deine Gäste. Ein Mehrwert, oder wie das heißt.«
    Vielleicht kann man einen Kompromiss finden. Vielleicht muss ich auch hier die Konventionen sprengen, so wie ich es bei dem Inhalt der Tafeln getan habe. Vielleicht würden die Menschen in der Stadt sagen: Endlich mal ein Gastronom mit Herz. Einer, der auch die Armen hineinlässt und das Thema nicht unter den Tisch kehrt.
    Außerdem kann mit Hilfe der beiden die Gesetzmäßigkeit der kritischen Masse zu meinem Vorteil gewendet werden. Sie lassen das Café belebter und voller aussehen.
    »Nun gut.« Ich atme tief ein und blase die Luft geräuschvoll wieder aus. Ich weiß nicht, ob schon mal jemand versucht hat, mit dieser Bevölkerungsschicht echte Regeln auszuhandeln, so wie ich das jetzt tue. Mit Hilfe von klaren Absprachen würden auch diese Menschen sich in einem Café aufhalten können, in Symbiose mit den regulären Gästen.
    Trotz eines unguten Bauchgefühls schlage ich vor: »Dann müssen wir aber eine Abmachung treffen. Ihr könnt nicht mehrmals täglich hier einmarschieren, sondern nur einmal morgens und einmal nachmittags.«
    »Ja, das ist eine super Idee!« Fred freut sich, der General wippt.
    »Dann gilt diese Regel ab sofort. Und Fred, bitte nicht den General alleine kommen lassen. Neulich ist er im Gastraum eingeschlafen, und ich musste ihn schlafend auf den Platz hinausschieben, habe ihn einfach nicht wach bekommen. Außerdem hat er geschnarcht wie ein Rhinozeros.«
    »Aber klar doch. Is überhaupt kein Problem. Wird jemacht, Chef, finden wir escht super«, sagt Fred überschwänglich. Der General kann sich in seinem Wippen gar nicht mehr beruhigen. »Das heißt aber auch, dass wir heute Nachmittag noch mal kommen dürfen! Korrekt, Chef?«
    Ich nicke lächelnd und halte ihnen die Tür auf, erleichtert, auf Verständnis getroffen und einen guten Kompromiss gefunden zu haben.
    Fred schiebt den General bis zur Ecke, bis an die große Laterne, die täglich wechselnde Plakate der Wildplakatierer trägt. Die beiden sind dankbar. Fred fällt noch etwas ein, er lässt den General an der Laterne stehen und kommt zu mir zurück. Er muss mir etwas Wichtiges sagen, er winkt mich heran, ich drehe ihm mein Ohr zu.
    »Chef«, flüstert er, »nich vajessen: Es jibt keene schlechten Abenteuer, nur schlechte Abenteurer.«
    Er lacht mich wohlwollend an, hebt den Zeigefinger, kehrt nickend zum General zurück, der auf die Information zu warten
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