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Für hier oder zum Mitnehmen?

Für hier oder zum Mitnehmen?

Titel: Für hier oder zum Mitnehmen?
Autoren: Ansgar Oberholz
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klassische Kochkleidung, weißes Hemd mit zwei Knopfleisten und eine schwarz-weiß karierte Hose. Sonst liebt er weite T-Shirts im Batiklook mit Abbildungen indischer Gottheiten. Die tiefschwarzen Haare im Bürstenschnitt, Flat-Top, ein Standardschnitt der amerikanischen Armee. Freundliche, wache dunkle Augen in einem weichen Gesicht.
    »Shanti, du weißt ja«, ermahne ich ihn, »dass nicht in jedes Gericht Kreuzkümmel gehört.«
    Seine Eltern hatten als Gastarbeiter in der DDR kurz vor der Wende die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Shanti war damals noch ein Kind. Er spricht akzentfrei Deutsch, und er ist schwul. Aber nur in der Hose, wie er selber betont.
    Verschämt stellt er die Gewürzdose mit dem Kreuzkümmel wieder in das Regal.
    »Auch nicht einen klitzekleinen Hauch? Es fällt mir schwer, ihn wegzulassen.«
    »Aber es gelingt dir immer besser. Und deinen Wurstgulasch darfst du ja weiterhin mit Kreuzkümmel abschmecken. Dafür, dass es das einzige Gericht war, das du zubereiten konntest, als du hier anfingst, haben sich deine Kochkünste in den letzten Wochen doch richtig gut entwickelt.«
    Die Mitarbeitersuche war nicht einfach gewesen. Ich benötigte ein knappes Dutzend Helfer. In den Stadtmagazinen hatte ich Kleinanzeigen geschaltet, es meldeten sich viele Bewerber. Probetage konnte ich nicht abhalten, da das Café noch geschlossen war. Ich musste mich auf die Referenzen und meine Intuition verlassen. Vor allem die Fähigkeit, freundlich zu den Gästen zu sein, ließ sich schwer überprüfen. Ich wollte in keinem Fall den in Berlin weit verbreiteten »Ich bin kein Kellner, sondern mache eigentlich etwas anderes, und du bist zu uncool für diesen Laden«-Typus hinter meinem Tresen haben. Aber auch keine gesichtslosen Gastromaschinen.
    Für den Service war die Auswahl schon schwer zu treffen, Stress und Intuition sind keine Freunde. Für die Küche war es ungleich schwieriger. Einer der eher vielversprechenden Bewerber fragte mich als Erstes, wie ich es mit Pausen und Krankmeldungen halten würde.
    Ich merkte schnell, dass ich Abstriche von meiner Idealvorstellung eines Koches machen musste. Zudem waren die meisten Bewerber nicht bereit, sich auf das eigenwillige Speisenkonzept einzulassen. Am Ende blieb als Kompromiss eine unsymphatische Köchin übrig, die ich zu dem Job überreden konnte. Sie brachte Shanti als Beikoch mit, den ich gleich liebgewonnen hatte. Sie selber bekam schnell große Probleme mit den flachen Hierarchien und mit dem Speisenkonzept. Sie weigerte sich, neben ein Focaccia mit Ziegenkäse, Birnen und Honig eine Bulette mit Kartoffelsalat in die Auslage der gläsernen Kühlvitrine zu legen.
    Nur wenige Tage nach der Eröffnung kündigte sie. Von Shanti verlangte sie, es ihr gleichzutun, aber er fühlte sich wohl bei uns, und ich beförderte ihn zum Koch. Beleidigt ließ die Köchin ihn zurück und stahl ihm zum Abschied seine gerade begonnene Rezeptsammlung. Trotzdem kochte er sich erstaunlich schnell an die für ihn neuen Gerichte heran. Für Geschmacksüberraschungen und ungewöhnliche Kombinationen ist er stets zu haben. Passend zum Gesamtkonzept.
    »Weißt du, dass ich mit dem offenen Küchenfenster zunächst gar nicht klarkam? Das hat mich sehr nervös gemacht. Köche sind es nicht gewohnt, in einem Schaufenster zu kochen«, sagt Shanti.
    Hinter dem letzten großen Fenster des Gastraumes befindet sich das der Küche, direkt am U-Bahn-Eingang. Es ist die einzige Küche in Berlin, in die man von außen hineinblicken kann. Kinder und Schaulustige drücken sich oft die Nasen platt und staunen, was in einer Großküche alles vor sich geht. Offene Küchen waren zu dieser Zeit noch nicht weit verbreitet, genauso wenig wie Koch-Shows im Fernsehen.
    »Mittlerweile bin ich aber froh über das Fenster, man kann hinausblicken und hat Tageslicht«, sagt Shanti.
    Ich versuche vergeblich den großen Salzeimer zu öffnen, um den Vorrat zu prüfen. Shanti zeigt mir den Handgriff, mit dem man den Deckel lösen kann.
    »Wie läuft es denn bei dir so, Chef?«
    »Ganz gut. Ich bin froh, dass wir mittlerweile ein paar Gäste haben, aber die reichen immer noch nicht aus, um die laufenden Kosten zu decken. Muss ich eigentlich irgendetwas nachkaufen? Fehlen Zutaten?«
    »Hier oben ist alles noch ausreichend vorhanden, im Keller solltest du nachschauen, da habe ich keinen Überblick. Du musst dir keine Sorgen machen. Laut Mayakalender sind wir bald im neuen Zeitalter der Ernte und Belohnung.
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