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Fünf Brüder wie wir

Fünf Brüder wie wir

Titel: Fünf Brüder wie wir
Autoren: Ravensburger
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dürfen, wird zu einer richtigen Qual und ich fange vor Enttäuschung zu stottern an, als wären mir alle anderen weggenommen worden.
    „Kann sich der Rotzbengel bald mal entscheiden?“, empörte sich eine dicke Dame.
    Papa drehte sich mit hochrotem Kopf zu ihr um. „Ich möchte Sie bitten, in einem anderen Ton von meinem Sohn zu sprechen!“
    Der Ehemann der dicken Dame mischte sich ein. „Ein Watschenvater wie Sie braucht da grade was zu sagen.“
    Einen Augenblick lang glaubte ich, Papa würde ihm gleich ein Stück Torte ins Gesicht pfeffern.
    Stattdessen stieß er eine Art Blöken aus, griff nach der nächstbesten kleinen Kinderhand, zerteilte vor sich die Menge der Wartenden und stürzte zum Ausgang, nicht ohne laut zu verkünden, dass er an einen solchen Ort, wo man keine Achtung vor Kindern habe, keinen Fuß mehr setzen werde.
    Im Laufschritt stürmten wir nach Hause, Papa an der Spitze. In der einen Hand balancierte er den Karton mit den Törtchen, mit der anderen zog er ein heulendes Kind hinter sich her. Wir mussten uns anstrengen, um nicht von ihm abgeschüttelt zu werden.
    Jean Eins versuchte ein paarmal, ihn zu stoppen, aber wir spürten alle, dass es besser war, ihm jetzt nicht in die Quere zu kommen.
    Erst als wir im Aufzug waren, bemerkte er es.
    „Wenn du nicht endlich aufhörst zu heulen, dann …“
    Mit hochrotem Kopf hob er die Hand und die Ohrfeige war nicht mehr aufzuhalten. Aber dann wurde Papa auf einmal leichenblass. Seine Lippen bewegten sich blitzschnell, als zähle er uns durch, dann fuhr er sich mit der Hand vor den Mund, um einen saftigen Fluch zu ersticken.
    „Verflixt und zugenäht!“, rief er. „Was machst du denn da?“
    Der Knirps, den er an der Hand hielt, verdoppelte seine Schluchzer.
    Er trug wie wir einen marineblauen Blazer, war ungefähr so groß wie Jean Drei und hatte dicke Backen voller Sommersprossen, aber da hörte die Ähnlichkeit auch schon auf.
    „Ich wollte es dir ja dauernd sagen, Papa“, meldete sich Jean Eins.
    „Er gehört nicht zu uns“, bestätigte Jean Vier. „Er hat keine Segelohren.“
    „Verflixt und zugenäht!“, wiederholte Papa erschrocken. „Ich hab ein falsches Kind dabei! Was machen wir denn jetzt bloß?“
    „Und wenn wir ihn behalten?“, schlug Jean Drei vor. „Ein Halsband, dass er jemandem gehört, hat er nicht um.“
    „Das ist nicht erlaubt“, erklärte Jean Vier. „Man muss ein Jahr und einen Tag warten. Erst dann dürfen wir ihn im Fundbüro abholen.“
    „Und wenn wir ihn ins Meer werfen, wie man es mit blinden Passagieren macht?“, kam es von Jean Eins.
    „Nein, wir behalten ihn“, sagte Jean Drei.
    „Kann er bei mir im Zimmer schlafen?“, fragte Jean Fünf.
    „Das Problem ist, dass wir nur sechs Törtchen gekauft haben“, bemerkte Jean Drei. „Ich teile meines jedenfalls nicht.“
    „Ruhe!“, brüllte Papa.
    Unser blinder Passagier heulte zum Herzerweichen, deshalb beugte Papa sich zu ihm runter.
    „Nana, mein Kleiner, schon gut“, sagte er und strich ihm über die Haare, die sich stachelig aufstellten. „Keiner tut dir was zuleide. Wir bringen dich ganz schnell zu deinen Eltern zurück. Sag, wo wohnst du denn?“
    Der Junge wollte sich überhaupt nicht beruhigen. Im Gegenteil, er schaute uns an, als wäre er von einem Heer von Außerirdischen entführt worden. Seine Schultern zuckten bei jedem Schluchzer.
    „Wie heißt du denn?“, fragte Papa.
    „Er antwortet nicht“, sagte Jean Eins. „Ob er geistig zurückgeblieben ist?“
    „Glaubst du?“, fragte Jean Drei. „Aber vielleicht ist er ja nur taubstumm.“
    Mit Überschallgeschwindigkeit setzte es für sie beide Ohrfeigen.
    „Alle ab in die Wohnung“, befahl Papa. „Wir finden dafür gleich eine Lösung.“
    Mit den Törtchen aber war es aus und vorbei. Wir mussten sie alle dem blinden Passagier geben, damit er zu weinen aufhörte. Weil er trotzdem kein Wort herausbrachte, sagte Papa schließlich: „Gut. Dann eins nach dem anderen. Ihr bleibt hier, während ich mit dem Kleinen zur Konditorei zurückgehe. Seine Eltern warten dort bestimmt auf ihn. In einer Viertelstunde bin ich wieder da.“
    Als Papa wieder nach Hause kam, war es bereits später Nachmittag. Er wirkte erschöpft, seine Augen waren ganz klein und seine Lippen waren nur noch ein schmaler Strich.
    „Und?“, fragten wir.
    Er ließ sich in einen Sessel fallen.
    „Die Konditorei war schon zu …“, brachte er schließlich heraus. „Zwei Stunden bin ich mit ihm durchs Viertel,
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