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Fuehrungs-Spiel

Fuehrungs-Spiel

Titel: Fuehrungs-Spiel
Autoren: Bernhard Peters , Hans-Dieter Hermann , Moritz Mueller-Wirth
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sie in diesem Spiel vor allem »für den Trainer« gekämpft hätten. »Für den Trainer kämpfen« – den Inhalt dieser eigentlich abgegriffenen Floskel lernte ich in diesem Augenblick wirklich zu schätzen. Mit Leidenschaft haben wir die Engländer mit 7 : 1 besiegt. Während des Finales der Niederländer gegen Spanien stand ich dann mit Kunz und Mike Green, einem weiteren herausragenden Spieler, traurig auf der Tribüne, als Kunz, gerade erst volljährig geworden, mich mit den Worten in den Arm nahm: »Trainer, ich verspreche, nächstes Jahr bei der Weltmeisterschaft werden wir zusammen bei der Siegerehrung ganz oben stehen.«
    Und genau so kam es auch bei der WM 1993 in Spanien. Geholfen hat dabei eine Maßnahme, die ich noch wenige Jahre zuvor im wahrsten Sinne des Wortes ins Reich der Lächerlichkeit verwiesen hätte: Stundenlang hatten meine Mitarbeiter und ich in der Nacht vor dem Finale penibel Videobänder zusammengeschnitten, in denen die Stärken und Schwächen der Pakistani, unseres Finalgegners, vorgestellt wurden. Bei der Mannschaftssitzung um zehn Uhr morgens kündigte ich den Spielern eine längere intensive Video a nalyse an – und blickte dabei in angestrengte, genervte Gesichter. Nicht schon wieder! – das war die Botschaft. Ich drückte natürlich trotzdem die Starttaste des Rekorders, und wir sahen die erste, höchst motivierende Szene: Die Hauptakteure waren unzweifelhaft Weltklassespieler, jedoch nicht pakistanische Verteidiger oder Eckenspezialisten, sondern John Cleese, Jamie Lee Curtis und Kevin Kline, Hauptdarsteller des Films Ein Fisch namens Wanda . Statt Abwehrschwächen der Pakistani bot ich meinen Spielern Monty Python. Zwei Stunden haben wir gemeinsam gelacht, anstatt die kurzen Ecken unseres Gegners zu studieren. Zehn Minuten mussten dann unmittelbar vor dem Spiel in der Kabine zur Vorbereitung auf das Finale reichen – und sie reichten. Wir besiegten nach einem großartigen Spiel in Terrassa unseren ewigen Rivalen aus Pakistan mit 3 : 1 und wurden Weltmeister. Nach vier Jahren war ich endlich aus dem Schatten von Paul Lissek, meinem erfolgreichen Vorgänger bei den Junioren und damaligen Trainer der Herrennationalmannschaft, getreten.
    Oft in den folgenden Jahren, als wir schon lange gemeinsam auch in der A-Nationalmannschaft erfolgreich waren, haben mich einzelne Spieler, die sowohl dem Junioren- als auch dem späteren Herrenteam angehörten, auf diese Welt meisterschaft angesprochen. Und besonders auf die Erfah rung rund um diese beiden Momente – die schmerzhafte Halbfinalniederlage bei der EM 1992 und den großen Erfolg bei der folgenden WM 1993. Sie waren gewachsen. Und ich mit ihnen. Dies war uns erst nach einigen Jahren bewusst geworden. Einen solchen Prozess miterleben und bis zu einem gewissen Grad mitbestimmen und steuern zu können, gehörte und gehört für mich zu den erfüllendsten Aufgaben und Erfahrungen in meinem Beruf als Trainer. Und es ist für mich der Inbegriff von: Führen.
    Damit hier jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Meine Arbeit damals und später bestand keineswegs vor allem aus psychologischer Selbsterfahrung und tiefsinnigen Rollenspielen. Vielmehr verbrachten wir die meiste Zeit gemeinsam und jeder für sich auf dem Kunstrasenplatz, in der Halle, im Kraftraum oder vor dem Videogerät. Und dabei ging es vor allem um Taktik-, Technik- und Torschusstraining und nicht um den Gemütszustand des Trainers, es ging nicht um Gruppendynamik, sondern um die bestmögliche Mannschaftsaufstellung. Ich war, wie schon damals als Coach der A-Jugendlichen in Krefeld, bekannt und gefürchtet für die Härte meines Trainings. Lud ich sie zu einer mehrtägigen gemeinsamen Arbeitsphase, sprachen die Spieler von »Schweinelehrgängen« oder » NATO -Rallyes«, nur halb im Spaß klagten sie darüber, derart gedrillt zu werden, dass bei dem harten Training nicht einmal Zeit bliebe, die Toilette aufzusuchen.
    Doch wie sah so ein »Schweinelehrgang« wirklich aus? Wir trainierten bei den harten Arbeitsphasen manchmal dreimal am Tag, wenn man den morgendlichen Lauf, meistens um sieben Uhr, dazuzählt, vier m al. Dann folgte eine »Kno cheneinheit« von zweieinhalb Stunden. Nach Mittagessen und Mittagsschlaf schloss sich eine, wie ich das nenne: »ruhigere Einheit« an: 75 Minuten Torschusstraining und Standardsituationen – von Viertel vor drei Uhr bis vier Uhr am Nachmittag. Schließlich die Zwischenmahlzeit und dann zwischen halb sieben und acht Uhr abends noch mal
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