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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde
Autoren: Thomas Sautner
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war nicht gerade hochgeschossen, vielleicht knapp eins siebzig groß.
    Er war spindeldürr, so um die vierzig Jahre alt, hatte krauses, schwarzes Haar und trug einen gezwirbelten Bart über seiner Oberlippe. Auf seinem Kopf saß ein schwarzer Hut, er trug ein weißes Hemd, darüber ein schwarzes Gilet. Schwarze, blank polierte Schuhe mit leichten Absätzen glänzten unter seiner schwarzen Stoffhose. In seinen Mundwinkeln steckte eine Virginia, an der er mehr zu kauen schien, als dass er sie rauchte. Luca Resulatti war zu nervös für lange Einleitungen: »Signore Carloso! Darf ich für Sie arbeiten?« Lucas Gegenüber lehnte sich an seinen hölzernen, rot-blau-gelb bemalten Wohnwagen, verschränke die Arme und schien zu lächeln. Aber genau konnte Luca das nicht beurteilen, vielleicht kaute der Mann auch nur auf eine sehr eigene Art und Weise an seiner Virginia. »Was kannst du?«, fragte der Zirkusdirektor. Luca wollte nicht riskieren, abgewiesen zu werden. Deshalb antwortete er so, wie es ihm bereits auf seiner Reise Erfolg eingebracht hatte: »Alles. Ich kann alles, Signore Carloso.«
    »Alles«, wiederholte der Zirkusdirektor nachdenklich und mit betont beeindruckter Miene. »Nun, wenn das so ist und du wirklich alles kannst, dann beginne damit, die Damenlatrinen zu putzen.«
    Das war nicht die Tätigkeit, die sich Luca für seinen Einstieg ins abenteuerliche Zirkusleben vorgestellt hatte. Da er aber sicher war, dass Großvater beim Anblick dieses Mannes seine offene Hand an die Hosennaht gehalten hätte, gab Luca Resulatti nicht auf: »Signore Carloso. Wenn Sie das so wollen, werde ich es machen. Aber ich bitte Sie, mir eine verantwortungsvollere Tätigkeit zu geben.« Das scheinen die richtigen Worte gewesen zu sein, freute sich Luca, denn nun lächelte der Zirkusdirektor. Mit Sicherheit lächelte er. Zigarrenkauen alleine konnte das nicht sein.
    »Wie heißt du, mein Junge?«, wollte der Zirkusdirektor wissen. Als Luca Resulatti mit stolzgeschwellter Brust seinen Vor- und seinen Nachnamen aussprach, kippte die Virginia seines Gegenübers nach vorne und kurz, ganz kurz, wurde aus dem stolzen, eleganten Zirkusdirektor Carloso ein weicher, schmächtiger Mann.
    »Ich habe es geahnt«, sagte Carlo Resulatti.
    Er sperrte sich mit seinem Neffen in seinem Wohnwagen ein. Sie tranken und aßen gemeinsam. Sie erzählten einander in groben Umrissen ihr Leben der letzten Jahre, lachten über Anekdoten und erzählten einander Geschichten, wie sie nur Jenische erleben können. Nur eines wollte Carlo Resulatti nicht erzählen: Warum er von zu Hause fortgegangen war und seinen Namen geändert hatte. Vielmehr rang er seinem Neffen ein Versprechen ab: Niemals und um keinen Preis dürfe er das Geheimnis um seinen Namen verraten. Und auch seinen eigenen Nachnamen solle er tunlichst verschweigen. »Es ist auch zu deinem Besten«, sagte Carlo Resulatti.
    »Muss ich jetzt noch immer die Damenlatrinen putzen?«, fragte Luca nach einer Weile, setzte ein keckes Gesicht auf, auch um wieder gute Laune in das zuletzt ernste Gespräch zu bringen, und boxte seinen Onkel freundschaftlich in die Rippen.
    »Na schön«, antwortete er. »Da du von den Damenlatrinen offensichtlich nichts hältst, putzt du eben die Herrenlatrinen.« Luca Resulatti erkannte an den hochgezogenen Augenbrauen und dem ernsten Gesichtsausruck seines Onkels, dass er nicht spaßte.
    »Luca«, sagte sein Onkel dann. »Ich spüre, du willst hoch hinaus. Und du wirst es auch noch weit bringen, denn du bist klug und hast anscheinend schon viel gelernt. Aber denke daran: Der Weg ist lang. Und der Wolf wird nicht an einem Tag zum Oberhaupt des Rudels.«
     
    * * *
     
    In der warmen Jahreszeit, von Frühjahr bis Herbst, fuhren die Jenischen im Familienverbund im Land umher, um Geschäfte zu machen. Wenn es Winter wurde, lebten sie in abgelegenen Gegenden, die von der sesshaften Bevölkerung wegen ihrer Widrigkeit oder Gefährlichkeit gemieden wurden, etwa an Berghängen, in Auen und nahe von Mooren. In der Sprache der Jenischen gibt es, entsprechend der Reise- und der Nicht-Reise-Saison, nur zwei Jahreszeiten: den Hitzling (Sommer) und den Biberling (Winter).
    Den sesshaften Kaufleuten und Handwerkern waren die Fahrenden aus Konkurrenzgründen stets ein Ärgernis. Den Landleuten jedoch waren sie willkommen. Denn sie lieferten auch in abgelegene Gegenden Waren aller Art und reparierten schadhaft gewordenes Geschirr sowie Werkzeug direkt vor Ort. Außerdem brachten sie von ihrer
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