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Frostnacht

Frostnacht

Titel: Frostnacht
Autoren: Arnaldur Indridason
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der stand nur da und sagte keinen Ton.
    Ágúst war ebenfalls aufgestanden.
    »Ich habe die Stimme sofort erkannt«, sagte Erlendur. »Du hast mich in den letzten Tagen einige Male angerufen, und das kann ich gut verstehen. Es ist eine sehr ernste Sache, in so etwas hineinzugeraten.«
    »In so etwas hineinzugeraten?«, entgegnete die Frau. »Ich weiß gar nicht, wovon du redest.«
    Sigurður Óli und Elínborg sahen einander an.
    »Ich war zunächst überzeugt, dass es sich um eine ganz andere Frau handelt«, sagte Erlendur. »Ich bin froh, dass ich dich gefunden habe.«
    »Mama?«, sagte Ágúst und starrte seine Mutter an.
    »Ich glaube, ich weiß jetzt, was du gemeint hast, als du sagtest, du könntest so nicht leben«, sagte Erlendur. »Ich begreife aber nicht, wie ihr auf die Idee gekommen seid, ihr könntet so tun, als sei nichts vorgefallen.«
    Die Frau starrte Erlendur an.
    »Du wolltest Hilfe«, sagte er. »Deswegen hast du angerufen. Jetzt bekommst du diese Hilfe. Du kannst jetzt zeigen, was in dir steckt. Du kannst jetzt das tun, was du die ganze Zeit schon tun wolltest.«
    Die Frau sah ihren Ehemann an, der sich immer noch nicht rührte. Dann wanderten ihre Blicke zu Elínborg und Sigurður Óli, die keine Ahnung hatten, was hier eigentlich vor sich ging, und sie sah zu ihrem Sohn hinüber, der angefangen hatte zu weinen. Als sie das sah, stiegen ihr ebenfalls die Tränen in die Augen.
    »Es war von Anfang an keine gute Idee«, sagte Erlendur.
    Die Tränen liefen ihr über die Wangen.
    »Mama!«, flüsterte ihr Sohn.
    »Wir haben es ihretwegen getan«, sagte sie leise, »wegen unserer Jungen. Was sie getan hatten, war nicht rückgängig zu machen, so grauenerregend und furchtbar es war. Wir mussten an die Zukunft denken. Wir mussten an ihre Zukunft denken.«
    »Aber es war keine Zukunft, oder?«, sagte Erlendur. »Nur dieses schäbige Verbrechen.«
    Die Frau blickte wieder auf ihren Sohn.
    »Sie wollten es gar nicht tun«, sagte sie. »Es fing doch nur mit einem Dummejungenstreich an.«
    »Ich will mit einem Rechtsanwalt sprechen«, sagte der Ehemann. »Kein Wort mehr jetzt.«
    »Sie haben sich so verdammt idiotisch benommen«, sagte die Frau und schlug die Hände vors Gesicht.
    Plötzlich war es, als lockere sich ihre innere Spannung, als könne sich das, was sich in den langen Tagen nach dem Mord an Elías in ihr angestaut hatte, endlich Bahn brechen. »Immer!«, sagte sie und trat einen Schritt auf ihren Sohn zu. »Ihr benehmt euch immer wie die letzten Idioten!«, rief sie. »Seht doch nur, was ihr angerichtet habt!«
    Der Ehemann lief zu ihr hin und versuchte, sie zu beruhigen.
    »Seht, was ihr angerichtet habt!«, schrie sie ihren Sohn an. Sie fiel ihrem Ehemann in die Arme.
    »Gott steh uns bei«, stöhnte sie und sank ohnmächtig zu Boden.

Neunundzwanzig
    Hallur und Ágúst wurden sofort zu weiteren Vernehmungen ins Dezernat gebracht und anschließend der Fürsorge des Jugendamts überantwortet. Beide Elternpaare wurden verhört, und für sie wurde Untersuchungshaft beantragt. Sie beschuldigten sich gegenseitig, die Idee gehabt zu haben, alles zu vertuschen, und ihre Aussagen waren genauso wenig in Übereinstimmung zu bringen wie die ihrer Söhne, als es darum ging, wer das Messer geführt hatte. Nach dreitägiger Vernehmung gab Hallur es schließlich zu. Nach und nach fügte sich das Bild zusammen, wie Elías gestorben war.
    Alle Jungen hatten der Polizei etwas vorgelogen. Hallur hatte Anton mit dem Messer gesehen, das Doddi geklaut hatte, und bot ihm ein Computerspiel dafür an. Sie hatten sich zu viert bei Anton zu Hause getroffen, und Anton sah sich die Computerspiele an, die Hallur mitgebracht hatte. Sie verhandelten über einen Tausch, aus dem aber nichts wurde. Doddi und Anton gaben zu, Kjartans Auto an dem Tag beschädigt zu haben, an dem Elías ermordet wurde. Nachdem sie das Auto des Lehrers beschädigt hatten, wollten sie das Messer loswerden und hatten es Hallur gegeben, als sie ihn auf dem Schulhof trafen.
    Hallur war direkt nach der Schule mit Ágúst verabredet gewesen. Sie waren irgendwie aufgekratzt und gingen in einen Supermarkt, wo sie sowohl CDs als auch Süßigkeiten klauten. Das machten sie manchmal, obwohl sie genügend Taschengeld von ihren Eltern bekamen. Das hatte damit nichts zu tun. »Der Kick«, sagte Ágúst, mehr konnte er dazu nicht sagen. Sie waren ziemlich angetörnt, als sie aus dem Geschäft kamen, und dann lief ihnen Elías mit seinem Schulranzen über den
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