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Frostbite

Frostbite

Titel: Frostbite
Autoren: David Wellington
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gegen einen
Blechteller stieß.
    Chey starrte auf den Kompass. Norden lag direkt voraus, was
bedeutete, dass der Laut aus Südwesten gekommen war. Sie schloss die Augen und
konzentrierte sich. Da ertönte das Klirren erneut. Wenn sie sich konzentrierte,
wirklich konzentrierte, war sie sich ziemlich sicher, auch noch etwas anderes
zu hören – das Brutzeln von garendem Fleisch.

5   Angezogen vom Essensduft, stolperte Chey durch das
Unterholz. Sie war verflogen – die albtraumhafte Vorstellung, sich in den
Wäldern verirrt zu haben. Endlich würde sie ein anderes menschliches Wesen
sehen, jemanden, der ihr helfen würde. Tiere kochten kein Essen. Wölfe erst
recht nicht. Ihr Knöchel schmerzte scheußlich, und jedes Mal wenn sie den Fuß
belastete, blitzten grelle Lichter vor ihren Augen auf, aber das war ihr
gleichgültig. Jemand war in der Nähe, ein Mensch. Jemand, der ihr helfen, der
sie retten würde.
    Am Rand einer Lichtung ließ sie der verletzte Fuß im Stich, und sie
stürzte in den Schnee und das Moos.
    Mit den Armen stemmte sie sich hoch und sah sich um.
    Die Lichtung durchmaß bestenfalls zehn Meter, ein höher liegendes
Gelände, das zu einem schmalen Bach hinunterführte, der sich seinen Weg an den
Bäumen vorbei suchte. An der höchsten Stelle brannte ein Lagerfeuer. Eine
schwarze Eisenpfanne lag in den Scheiten, und darin schimmerte etwas, das wie
die Streifen von Hinterschinken aussah. Bei diesem Anblick lief Chey das Wasser
im Mund zusammen.
    Ein Mann in einem Pelzmantel saß vor dem Feuer. Nein, damit erwies
man dem Kleidungsstück zu viel Ehre. Es sah aus wie ein Haufen räudiger Felle
in den braunen und grauen Farben des Walds.
Der Mann selbst war klein, möglicherweise sogar kleiner als Chey, obwohl
das schwer festzustellen war, da er ja saß. Er kehrte ihr den Rücken zu, beugte
sich über die Pfanne und schichtete konzentriert den Inhalt um.
    »Hallo!«, krächzte Chey und wischte sich Blätter aus dem Gesicht.
    Keine Reaktion. Möglicherweise war
ihre Stimme so schwach, dass der Mann sie für das Flüstern der Äste über
ihren Köpfen gehalten hatte. Chey stemmte sich noch ein Stück höher, räusperte
sich und sammelte Kraft. »Hey! Sie da! Am Feuer!«, stieß sie hervor.
    Der Mann wandte sich um, und Chey stieß einen erstickten Schrei aus.
Im ersten Augenblick erschien sein Gesicht
konturlos und unfertig. Dann erkannte sie, dass er eine Maske trug. Weiß
bemalt, wies sie schmale Schlitze auf, wo Augen und Mund sein mussten. Braune
Streifen führten von den Augenschlitzen nach oben.
    Der Mann nahm die Maske und schob sie auf den Kopf hinauf. Das darunter befindliche Gesicht war
breit und rund und wirkte sehr überrascht. Vermutlich hatte er nicht damit gerechnet, in diesen Wäldern jemals auf
einen anderen Menschen zu stoßen – und erst recht auf keine abgerissene,
verletzte Frau, die sich mit den Armen über den Boden zog. Er stand auf und kam
mit wehenden Fellen auf sie zu.
    »Dzo«, sagte er.
    »Es tut mir leid«, erwiderte Chey kopfschüttelnd. »Ich spreche kein
Inuit.«
    »Ich auch nicht«, sagte er auf Englisch. »Der nächste Eskimo lebt in
Nunavut, im nächsten Territorium. Die Leute hier gehören zur Sahtu-Dene-Nation.
Falls man es genau nimmt, was ich eher nicht tue, und falls es Menschen im
Umkreis von hundert Kilometern gäbe, was nicht der Fall ist. Dzo.«
    »Dzo«, wiederholte sie in der Annahme, es sei eine traditionelle
Begrüßung.
    »Ja, der bin ich.«
    Chey blinzelte verblüfft. Also musste Dzo sein Name sein. Er klang
ähnlich wie Joe, aber doch so anders, dass sie Probleme mit der richtigen
Aussprache hatte.
    »Ich bin Chey«, sagte sie. »Die
Abkürzung für Cheyenne.«
    Er lächelte kurz und nickte freundlich. Dann wandte er sich wieder
um und machte keinerlei Anstalten, ihr beim Aufstehen Hilfe anzubieten. Er
begab sich zurück zum Feuer und setzte sich. Ohne noch einen Blick für sie
übrig zu haben, stocherte er sorgfältig in seiner Pfanne herum.
    Chey suchte nach Worten, um ihre Verstimmung auszudrücken, ohne ihn
so sehr zu beleidigen, dass er ihr nicht mehr half. Als ihr nichts einfiel,
kämpfte sie sich mühsam und mit Schmerzen auf die Beine und humpelte auf ihn
zu. Einen Moment lang wartete sie noch auf eine Einladung. Als er schwieg, gab
sie auf und setzte sich neben sein Feuer auf einen verrotteten Ast. Die von den
Flammen ausgehende Wärme tat beinahe schon
weh, als ihre durchgefrorenen Gelenke auftauten, war ihr aber dennoch
willkommen.
    Eine
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