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Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder
Autoren: Sandra Duenschede
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Moritzen hatte geantwortet, dass sie noch gut zwei Stunden für die letzten Abrechnungen benötige und er die Beileidsbekundung gerne in der Zeit bei ihr abgeben könne.
    Er erreichte Leck und bedauerte schon jetzt, seine Handschuhe zu Hause vergessen zu haben. Seine Hände waren eiskalt und der Rückweg würde sicherlich noch frostiger werden. Zum Glück hatte er zumindest Licht am Fahrrad. Eigentlich hätte er Tom und Marlene fragen können, ob sie ihn fahren könnten, aber er hatte in den letzten Tagen den Eindruck gehabt, als brauchten die beiden ein wenig Zeit für sich und das Baby. Tom hatte ohnehin wieder angefangen zu arbeiten und da wollte Haie sie nicht auch noch mit seinen Recherchen belästigen. Normalerweise hatten sie ja immer alles zu dritt gemacht und bei den letzten Fällen Thamsen gemeinsam geholfen, sie zu lösen. Aber durch Niklas hatte sich halt alles verändert und so sehr er sich mit den beiden über den Familienzuwachs freute, ein wenig zu kämpfen hatte er mit den Veränderungen, die der Kleine mit sich brachte, schon.
    Er lehnte sein Fahrrad an die Hauswand und schloss es ab. Dann ging er hinüber zum Eingang. Über dem Praxisschild hing ein Hinweis, dass sich die Praxis wegen Auflösung in Abwicklung befand und leider keine Behandlungen mehr stattfanden. Haie drückte den Klingelknopf, woraufhin kurz darauf der Türöffner ansprang.
    Im Haus war es mucksmäuschenstill. Dabei lagen über der Praxis noch zwei Wohnungen, aber die Mieter waren anscheinend nicht daheim.
    Als er die Anmeldung betrat, erwartete ihn die Sprechstundenhilfe schon. Haie grüßte kurz und reichte ihr dann die Trauerkarte, die er auf die Schnelle noch besorgt hatte. »Ich habe heute übrigens Ihre Kollegin getroffen«, bemerkte er wie beiläufig, um ein Gespräch in Gang zu bringen.
    »Ach ja?« Man merkte, sie wollte freundlich sein, ihn aber auch schnell wieder loswerden.
    »Wir haben uns auch über meine frühere Nachbarin unterhalten, die ihr Kind vor Kurzem verloren hat. Dr. Merizadi konnte wohl nicht mehr helfen, sie hatte hier ja schon Blutungen.«
    Die Frau hinter dem Empfangstresen schaute ihn misstrauisch an, nickte dann aber. »Ja, manchmal kommt halt jede Hilfe zu spät. Leider.«
    »Ich wusste ja gar nicht, dass sie, na – wie heißt sie noch gleich?«
    »Lisa Fischer?«
    »Ja, Lisa, genau.« Haie rieb sich innerlich die Hände. Sein Plan war bisher aufgegangen. Sicherlich hatte der Notfall für ordentlich Aufruhr in der Praxis gesorgt, vermutete er. Ansonsten hätte die Arzthelferin nicht so schnell den Namen nennen können.
    »Vielleicht sollte ich sie mal besuchen. Wohnt sie noch in Leck?«
    Die Frau zuckte mit den Schultern. »Aber hier ist das aktuelle Telefonbuch. Sie können ja mal nachschauen.«
    Haie hatte Glück. Nicht nur Lisa Fischers Telefonnummer, sondern auch ihre Anschrift war in dem Verzeichnis zu finden.
    »Amrumer Weg 46«, las er laut vor.
    »Na, dann kann ich ja gleich auf dem Heimweg mal vorbeifahren.«
    Er dankte und verabschiedete sich. Dann verließ er die Praxis und atmete tief ein und aus. Na, das hatte ja ausnahmsweise mal gut geklappt. Er grinste, denn eigentlich hätte sie ihm keine Auskunft über eine Patientin geben dürfen. Aber anscheinend war sein schauspielerisches Talent bisher weit unterschätzt worden.
    Er schwang sich auf sein Fahrrad und radelte los, Richtung Amrumer Weg.
     
    Sie hatte keine Ahnung, welcher Tag heute sein mochte. Montag? Dienstag? Und welche Tageszeit? Die Jalousien waren seit Tagen geschlossen und im Raum war es stockdunkel.
    Sie wollte nichts sehen und nichts hören von dieser Welt, in der es so viele Kinder gab, und sie keines haben durfte. Das Leben war ungerecht. Ihr Schicksal finster.
    Nachdem sie den Kleinen leblos vorgefunden hatte, war alles wie ein Film abgelaufen. Sorgsam hatte sie ihn in eine Decke gewickelt und war mit ihm durch die Dunkelheit gefahren. Einfach so, ohne ein Ziel. Doch plötzlich hatte sie sich an der Gedenkstätte wiedergefunden und den Wagen angehalten. Schnell war in ihr der Entschluss gereift, den Kleinen dort abzulegen. Ihm eine würdevolle Ruhestätte zu geben.
    Außerdem wollte sie dem Menschen, der für seinen Tod mitverantwortlich war, ein Mahnmal setzen. Ihr Kind hätte nicht sterben müssen, wenn der Arzt geholfen hätte. Gut, dafür hatte er seine Strafe erhalten, aber es konnte nicht schaden, auch an die Kinder zu erinnern, die er auf dem Gewissen hatte. Zwei waren es mindestens. So sah sie das und wenn
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