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Friesenkinder

Friesenkinder

Titel: Friesenkinder
Autoren: Sandra Duenschede
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Pistole in der ausgestreckten Hand, den Raum. Nichts. Hier befand sich die Küche, in der ein einziges Chaos herrschte. Angebrochene Milchpulverpackungen und dreckige, halb volle Babyfläschchen. Hatte die Frau nicht eine Fehlgeburt gehabt, wunderte er sich. Oder hatte sie bereits ein Kind? Aber das hätte doch schon älter sein müssen? Er spürte plötzlich, dass er hier auf einer ganz heißen Spur war, straffte die Schultern und schlich auf die nächste Tür zu. Aufstoßen. Licht anschalten. Sichern. Niemand zu sehen. Ein Wohnzimmer, in dem eine Babywippe stand und mehrere Klamotten auf dem Sofa verstreut waren.
    Immer sicherer wurde er, hier richtig zu sein und seinen Freund in diesem Haus zu finden. »Haie?«, rief er daher und hörte plötzlich ein Poltern aus dem hinteren Zimmer, das gegenüber einem Raum lag, dessen Tür offen stand und aus dem ein schmaler Lichtstrahl in den Flur fiel. Er bewegte sich vorsichtig in Richtung Tür. Jeder Muskel seines Körpers war gespannt. Er drückte die Klinke herunter, stieß die Tür auf und erschrak.
    Auf dem Boden vor einem Kinderbett lag, gefesselt und geknebelt, Haie. Über ihm kniete eine Frau und hielt ihm ein großes Küchenmesser an den Hals.
    »Einen Schritt näher und ich stech ihn ab.«
    An der schrillen Stimmlage konnte Thamsen erkennen, dass die Frau in höchster Panik war. Beim kleinsten Fehler von ihm würde sie ihre Drohung wahr machen. Automatisch wich er einen Schritt zurück, um zu signalisieren, dass er ihren Anweisungen folgen würde. Zusätzlich hob er seine Arme in die Höhe.
    »Frau Fischer, hören Sie. Geben Sie auf. Sie haben keine Chance. Meine Kollegen sind gleich hier.«
    Sie schien seine Worte gar nicht wahrzunehmen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie ihn an, während sie das Messer weiterhin an Haies Kehle drückte.
    Er ließ seinen Blick kurz durch den Raum wandern. Das kleine Kinderzimmer war liebevoll eingerichtet, mit bunter Tapete und vielen Spielsachen. Die Frau hatte sich wahrscheinlich nichts sehnlicher als dieses Kind gewünscht, das sie leider nicht hatte zur Welt bringen können.
    »Das haben Sie hier aber schön ausgestattet. Wo ist denn das Baby?« Er tat, als wüsste er nichts von den Hintergründen, und hoffte so, die Situation zu entschärfen. Wenn er es schaffte, ihre Aufmerksamkeit von Haie auf sich zu lenken und sie die Trauer um das Kind überfiel, würde sie vielleicht für einen Moment unachtsam werden und er konnte das ausnutzen, um die Kontrolle über die Situation zu gewinnen. Doch Lisa Fischer starrte ihn weiterhin nur an und aus Haies hochrotem Kopf und dem Ausdruck in seinen Augen konnte er schließen, wie sie den Druck verstärkte. Aber er wusste keinen anderen Weg, um sie irgendwie aus der Reserve zu locken.
    »Es ist bestimmt ganz herzallerliebst. Wollen Sie es mir nicht einmal zeigen?«
    Keine Reaktion. Thamsen spürte, wie ihm der Schweiß unter den Armen hinablief und sein Hemd am Rücken klebte.
    »Na, was ist, Mama?«
    Die Frau brach plötzlich zusammen. Die Nennung dessen, was sie so sehnlichst sein wollte und doch nicht war, ließ ihre Fassade wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Er konnte mit ansehen, wie die Spannung aus ihrem Körper wich, die Hand mit dem Messer sank und sie zu zucken begann. Doch noch war die Gefahr, die von ihr ausging, nicht vorbei. Noch der Freund in ihrer Gewalt. Ein falsches Wort und sie würde diese Schwäche überwinden und vielleicht wirklich zustechen.
    Fieberhaft überlegte sich Thamsen seine nächsten Worte, aber ihm wollte partout nichts einfallen. Der Druck lähmte seine Gedanken, wenn ihm jetzt nicht der passende Satz über die Lippen kam …
    »Es ist nicht Ihre Schuld.«
    Die Stille in dem Moment wirkte tödlich. Angespannt wartete Thamsen auf die Reaktion der Frau, die ihren Kopf hob und ihn aus tränenüberströmten Augen anschaute. Er versuchte, in ihrem Blick irgendetwas zu lesen, und sah unvermittelt so viel. Angst, Verzweiflung, Hoffnung und eine tiefe Traurigkeit. Er ging einen Schritt auf sie zu, kniete sich vor sie. Sie rührte sich nicht. Dann griff er ganz langsam nach dem Messer und nahm es ihr aus der Hand. Die letzte Spannung ihres Körpers schien damit abzufallen. Und endlich sackte sie zusammen.
    »Es war doch seine Schuld«, flüsterte sie und blickte Thamsen hilflos an. »Ich habe doch den Kleinen nur wegen ihm verloren. Weil er mir nicht helfen wollte.« Er nickte, um sie zu weiteren Aussagen zu ermutigen. Mit Erfolg.
    »Dabei wollte ich
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