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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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fast Streit, wenn er sagte, er fragt sich, warum sich jemand, der schon immer dagegen gewesen sein wollte, so fotografieren läßt, mit diesem Gesicht und diesen Stiefeln. Warum nur, sagte der Vater, läßt sich so einer dabei fotografieren, wie seine Stiefel einer ausländischen Treppenstufe erklären, wem sie von nun an zu gehorchen hat; und wenn er das sagte, weinte die Mutter, weil ihr eigener Mann nichts verstand und weil der einzige Mann, der es verstanden hätte, tot und erschossen war, hinterrücks von Partisanen. Wie Partisanen eben sind. Meistens sagte der Vater dann nichts mehr, sondern zeichnete weiter Zimmer in seinen Hausplan, nur wenn die Mutter sagte, daß Flori ihrem Verlobten sehr ähnlich sieht, sagte der Vater: Jetzt reicht es aber, Irene, jetzt ist aber mal Schluß. Aber es war dann nur für kurze Zeit Schluß, weil wir am nächsten Wochenende wieder so ein Haus auf einem Acker ansehen fuhren, und solange wir Häuser ansahen, kam das Heimweh immer wieder, und mit dem Heimweh kam sofort auch der tote Verlobte, und schließlich sagte die Mutter, wenn ich ihn hätte begraben können, dann wäre alles viel leichter, aber wegen der Partisanen war es natürlich im Ausland gewesen, und sie hatte nur ein paar Fotografien, einen Kettenanhänger und eine Brosche; einmal hatte sie versucht, den Kettenanhänger Wasa und die Brosche mir zu schenken, aber Wasa wollte den Kettenanhänger nicht, und ich wollte keine Brosche von ihrem Verlobten, ich sagte, behalt du die Brosche lieber, es war schließlich dein Verlobter, und wenn er dir das geschenkt hat, mußt du es auch behalten. Ich hätte mich nicht getraut, die Brosche wegzuwerfen, weil sich das nicht gehörte, aber ich hätte sie auch um keinen Preis haben wollen, weil ich nicht durch eine Brosche mit einem fremden Soldaten zu tun bekommen wollte, mit dem ich gar nicht verwandt war, und dann wäre ich in diesen Krieg verwickelt gewesen, und er wäre noch unheimlicher geworden durch die Brosche, als er sowieso schon war, solange er für Wasa und mich nur ein Gerücht blieb. Flori tat mir leid, daß er diesem toten Verlobten ähnlich sah. Wenn es dem Vater zuviel wurde mit dem Heimweh, fing er an zu pfeifen, manchmal pfiff er das Lied von dem bleichen Knaben und dem Edelweiß, in dem der Knabe beim Edelweißpflücken stirbt. Es war ein Lied, bei dem ich immer aus dem Zimmer gehen mußte, weil ich so entsetzt war, wenn ich mir vorstellte, wie leicht Sterben geht, daß ich keine Luft mehr bekam, und die Mutter wurde von dem Lied auch nicht fröhlich, weil es ein Küchenlied war, und ein Küchenlied konnte nicht trösten, sondern ihr nur klarmachen, wie untröstlich und unverstanden sie war. Ich hatte es lieber, wenn der Vater nicht dieses Küchenlied pfiff, sondern das Lied von den Soldaten, die sich alle gleichen, obwohl es mir auch immer unheimlich war, er sang mit ganz tiefer Stimme und wie gesprochen die Zeile immer als Text, die aufhört: lebendig und als Leich. Es klang dann auch wie ein Küchenlied und war schrecklich, aber ich dachte, zum Glück ist der Vater kein Soldat, und bei Flori könnte man vielleicht aufpassen, daß er auch kein Soldat wird, und schon wurde ich etwas zuversichtlicher, daß von uns niemand mit dem Töten zu tun bekommen müßte.
    Schließlich sagte die Mutter, daß es sie trösten würde, wenn sie das Grab besuchen könnte, und der Vater war einverstanden, weil er es gern gehabt hätte, wenn sie getröstet wäre und dann vielleicht nicht mehr jung sterben müßte, sondern in Ruhe alt werden konnte, während in ihrem Garten die Johannisbeersträucher in aller Ruhe wachsen, obwohl er nicht mehr von Sträuchern sprach, die so langsam wachsen und auch viel Arbeit machen. Er sagte, wenn das alles zu viel Arbeit ist, kann man vielleicht einen Steingarten machen, um die Mutter nicht mehr weiter mit Dingen zu bedrücken, die belasten und langsam wachsen. Wasa und ich waren immer sehr still, wenn es um diese Dinge ging, weil wir dachten, daß wir schließlich auch solche Dinge wären, die belasten und langsam wachsen, und mir fiel die Ami-Stiefmutter wieder ein, die zwar unmöglich war, aber wirklich eine Versuchung gewesen wäre und eine schöne Entlastung, nur sprachen sie während der Hauspläne nicht mehr davon, sich scheiden zu lassen. Sie sprachen jetzt abwechselnd von den Zimmern, dem Steingarten und dem Grab, und eines Tages sagte der Vater, daß er auch froh wäre, wenn sie endlich dieses Grab besuchen würde, und wenn es sie
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