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Friedliche Zeiten - Erzählung

Friedliche Zeiten - Erzählung

Titel: Friedliche Zeiten - Erzählung
Autoren: Rotbuch-Verlag
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wiedersehen würde; aber wegen der Schlaftabletten und der Rheinfahrt konnte ich jetzt nicht zu Wasa rüber, weil ich nicht sicher war, ob die Mutter nicht doch schnell noch ein Röhrchen Schlaftabletten runterschlucken und am Ende mit Flori teilen würde, und dann hätte ich nicht gewußt, was ich machen soll, also blieb ich im Wohnzimmer, um zu verhindern, was zu verhindern war; und schließlich fiel mir ein, wie ich aus dem Wohnzimmer heraus und in unser Zimmer kommen könnte, aber es war nicht ganz einfach, weil ich dazu ins Badezimmer mußte und weil das Badezimmer nicht abzuschließen war; im Badezimmer hing über der Waschmaschine das Medizinschränkchen mit dem Heftpflaster, der Sportsalbe und den Herztropfen und Schlaftabletten und all den anderen Medikamenten. Ich dachte, wenn ich es schaffe, unauffällig ins Badezimmer zu kommen, könnte ich leise auf die Waschmaschine klettern und ans Medizinschränkchen heran. Dann könnte ich die Schlaftabletten aus dem Schränkchen leise herausnehmen, die Schachtel vorsichtig öffnen, ohne mit der Gebrauchsanweisung zu rascheln, und alle Tabletten aus dem Röhrchen ins Klo werfen und schnell hinunterspülen, alle bis auf die ein oder zwei Tabletten, die ich der Mutter lassen mußte, damit sie heute abend vielleicht dann doch noch einschlafen konnte. Es war ziemlich unwahrscheinlich, daß ich es schaffte, aber es war die einzige Möglichkeit, aus dem Wohnzimmer heraus und zu Wasa in unser Zimmer zu kommen und Flori womöglich zu retten, obwohl es dann auch nicht sicher war, daß ich ihn retten könnte, weil die Mutter ja immer noch mit Flori an eine Wand hätte fahren können, aber es schien mir nicht sehr wahrscheinlich, daß sie das heute abend machen würde, weil sie es eigentlich nur noch machte, wenn der Vater zu Hause war. Schließlich stand ich auf und sagte, komm, Mama, wir gehen jetzt einfach ins Bett, obwohl ich wußte, daß sie noch nicht ins Bett gehen und dann schlaflos im Bett liegen würde, bis es klingelte, aber ich mußte ins Badezimmer, um die Schlaftabletten ins Klo zu schütten. Flori war vertieft in sein Micky-Maus-Heft. Ich ließ Wasser in die Badewanne ein, damit ich nicht so leise sein mußte, und dann wartete ich, bis die Mutter hereinkam, um nachzusehen, ob ich ohnmächtig geworden war, aber ich hatte nur schmutzige Fingernägel, und sie war traurig darüber, daß zu alledem auch noch meine schmutzigen Fingernägel hinzukamen.
    Schließlich ging sie und kam erst wieder rein, als sie die Klospülung hörte. Ich sagte, alles in Ordnung, Mama, aber in Wirklichkeit war mir so schlecht, daß ich am liebsten das Abendbrot mitsamt Pfefferminztee und Wasas Innereien ausgespuckt und mich selbst den Schlaftabletten hinterher und hinuntergespült hätte, obwohl es das Dümmste war, was ich hätte machen können, weil die Mutter beim zweiten Mal Klospülung nicht mehr geglaubt hätte, daß alles in Ordnung ist, und schließlich kam es mir auch so vor, als ob nicht alles in Ordnung wäre, aber die Schlaftabletten jedenfalls waren weg und hinuntergespült, und vielleicht war mir jetzt nachträglich auch nur vor Erleichterung schlecht. Ich hielt die Luft an, damit die Übelkeit unten im Bauch bliebe und nicht die Gurgel rauf käme, und sagte mir, jetzt kann uns nichts mehr passieren. Ich sagte es eine ganze Weile leise vor mich hin, jetzt kann uns nichts mehr passieren, dann ließ ich das Badewasser ablaufen, und als die Mutter das nächstemal hereinkam, um zu sehen, warum ich so lange im Badezimmer war, putzte ich mir schon die Zähne und hatte es also geschafft.
    Als die Mutter zum Gutenachtsagen kam, sagte sie, daß der geschiedenen Frau Osterloh demnächst eine Totaloperation gemacht werden müßte, und wenn man bedenkt, daß die geschiedene Frau Osterloh zwar seit der Scheidung alleinstehend ist, aber immerhin kann sie ihre Mutter aus Trier kommen lassen, wenn sie sie braucht, während unsere Mutter niemanden hier im Westen und auf der ganzen Welt hatte, ihre Mutter saß hinter dem Stacheldrahtzaun und konnte nicht kommen, wenn die Tochter mutterseelenallein ist und sie braucht. Dann weinte die Mutter und sagte, daß sie vom Leben im Grunde nicht viel verlangen würde. Im Grunde bin ich mit sehr, sehr wenig zufrieden, sagte sie, ich brauche gar nicht all diesen ganzen Plunder und Schmuck und teure Pelze, aber da sitze ich hier mit all dem Schmuck und den teuren Pelzen, und das kleine Bißchen, das ich vom Leben gern hätte, habe ich nicht bekommen. Als
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