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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)
Autoren: Andrew Miller
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dass das Gras am nächsten Tag schwarzen Glasstielen glich, die unter ihren Stiefeln zersplitterten, dass sich das Predigerkreuz wie ein geschwärzter Arm aus den Trümmern reckte, dass der Rauch zwei Tage lang über dem Viertel hing, ehe ein kräftiger Regenguss ihn auflöste, oder dass Guillotin den alten Priester für wahnsinnig erklärte und ihn persönlich mit einer Droschke ins Irrenhaus von Salpêtrière brachte.
    Was die Bergleute anging, so reichte es zu vermerken, dass ihre Wachsamkeit und ihr Mut viele Häuser vor den Flammen bewahrte und dass sie nach dem Brand mit bewunderungswürdigem Einsatz das Gelände räumten. Fünf Wochen lang abrissen, was noch hartnäckig stand, wo immer möglich Gebeine von dem Gewirr verbrannter Dinge schieden, die ihnen ähnelten … Noch neunzehn Konvois wurden zu dem Steinbruch geschickt, bevor er, der Oberaufseher, erklärte, was nun noch da sei, könne dableiben und einen Teil des Untergrundes für die neuen Pflastersteine bilden, die Meister Sagnac verlegen werde, der Steinmetz, dem man offiziell die Leitung der Baustelle für deren endgültige Verwandlung in den Marché des Innocents übertragen habe …
    Denn das ist es, was man beschlossen, was man verfügt hat. Ein neuer Markt auf der alten, menschenfressenden Erde des Friedhofs! Das Gedränge von Kleingewerbe, das Ausschreien von Waren, wo einst nur die Glocke des Priesters, das dumpfe Geräusch des Spatens zu hören waren. Und Jeanne wird dort einen Stand haben. Sie hat gesagt, dass sie das möchte. Blumen, getrocknete Blumen und Kräuter, doch zuerst muss sie von dem entbunden werden, was sie unter der großen, hübschen Schwellung trägt, die ihr die Röcke vom Boden hebt. Guillotin hält sein Versprechen aufrecht, ihr Geburtshelfer zu sein. Er besucht sie oft und erzählt liebevoll-witzige Geschichten vom häuslichen Leben in der Rue Aubri Boucher, von dem träumenden Mädchen, dem alten Totengräber, dem Bergmann. Beim letztenmal hat er ihnen – Jean-Baptiste, Héloïse, Armand, Lisa – von der Wiege erzählt, die Jan Block gebaut hat, einem kleinen Bett auf halbmondförmigen Kufen, das Ganze laut dem Arzt ausnehmend schön gefertigt, mit einer ins Fußende eingeschnitzten Rose und einem kleinen, spatzenähnlichen Vogel im Kopfende.
    Was die anderen – Blocks Brüder – angeht, so sind sie vor ungefähr zwei Wochen gegangen, doch wohin, weiß man nicht. In den Gärten hinter Saint-Sepulcre, wohin die Männer nach dem Brand ihr Lager verlegt hatten, hat ein letztes Gespräch zwischen Jean-Baptiste und dem Bergmann mit den violetten Augen stattgefunden. Es dämmerte schon, über den letzten Sommerblumen, den Dahlien und Geranien, lag ein feiner Dunst. Jean-Baptiste war mit dem Geld der Männer gekommen. Das Geld wurde entgegengenommen – die Börse kurz in der Hand des Bergmanns gewogen –, dann teilte ihm der Bergmann etwas weniger förmlich als gewohnt mit, dass sie am nächsten Morgen gehen würden.
    Nach Valenciennes?
    Nein, dorthin nicht.
    Aber ihr werdet zusammenbleiben?
    Ja.
    Dann wünsche ich euch … Ich bin euch dankbar. Euch allen.
    Ein Nicken.
    Du bist Hoornweder?
    Lampsins.
    Dann also Lampsins.
    Moemus.
    Moemus?
    Sack, Tant, Oste, Slabbart …
    Am nächsten Morgen waren die Gärten leer. Nichts als etwas flachgedrücktes Gras deutete darauf hin, dass überhaupt jemand dagewesen war. Ein merkwürdiges, beunruhigendes Gefühl, sie nicht mehr dazuhaben, da oder sonstwo. Héloïse wirft ihm vor, dass er sie vermisst, und obwohl er sie auslacht – wie kann man solche Leute vermissen! –, ist doch etwas Wahres an dem, was sie sagt. Er war auf sie angewiesen, sehr auf sie angewiesen. Würde die Kirche ohne ihre spezielle Mischung aus Stetigkeit und Aufsässigkeit nicht immer noch ihren Schatten über die Rue Saint-Denis werfen?
    Und auf wen war er eigentlich nicht angewiesen? Wen hat er nicht auf diese Weise belastet? Selbst der Bericht hätte gar nicht geschrieben werden können ohne Héloïse, die Seite um Seite an dem Tisch in seinem früheren Zimmer neben ihm saß. Wenn ein Wort, das er brauchte, ein noch verlorenes Wort war, fand sie es für ihn und schrieb es, falls nötig, hin, damit er es abschreiben konnte (sie hat das Schreiben von einem lasziven Geistlichen gelernt, ihm haben es die Brüder der Oratorianischen Kongregation eingebleut). Drei Tage haben sie dafür gebraucht, während die Septemberhitze zum offenen Fenster hereinströmte und trockener Donner über der Stadt grollte. Dann,
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