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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)
Autoren: Andrew Miller
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noch in einem Eimer Wasser zu versenken.«
    »Marie schneidet ihnen die Kehle durch«, sagt Ziguette.
    »Ich bin mir sicher, dass sie nichts dergleichen tut«, sagt ihre Mutter. Zu ihrem Gast sagt sie: »Mein Mann hat ein Geschäft in der Rue des Trois Mores.«
    »Sie verkaufen Fallen, Monsieur?« fragt Jean-Baptiste.
    »Klingen, Monsieur, von schlicht bis ausgefallen. Wir veredeln, schleifen und polieren. Wir sind bei besseren Leuten sehr beliebt. Père Poupart von Saint-Eustache schneidet sein Fleisch mit einem meiner Messer.«
    »Wenn es kalt wird«, sagt Ziguette, »kommen Ratten herein. Ins Haus.«
    »Zu Hause war das in den kältesten Nächten genauso«, sagt Jean-Baptiste.
    »In der Normandie?« fragt Madame Monnard, als wäre sie erstaunt zu hören, dass Ratten einen so entlegenen Ort entdeckt haben.
    »Bestimmt fehlt es Ihnen«, sagt Ziguette.
    »Mein Zuhause?« Einen Moment lang sieht er in seiner Erschöpfung Krähen, schwarze Stoffetzen, in der Dämmerung von einem Feld aufsteigen, sieht die einsame Turmspitze einer Dorfkirche. »Ich denke, ich bin dort zufrieden, wo meine Arbeit mich hinführt.«
    »Sehr mannhaft«, sagt Madame Monnard, während sie das Fell des Katers krault.
    »Und worin besteht Ihre Arbeit hier?« fragt Ziguette. Sie sieht so hübsch aus, als sie das fragt, so keck in ihrem cremeweißen Kleid, dass er in Versuchung kommt, ihr genau zu sagen, weshalb er hier ist. Er fragt sich, was Lafosse gesagt, welche Geschichte er ihnen, wenn überhaupt, erzählt hat.
    »Ich bin hier«, sagt er und ist sich bewusst, dass alle drei ihm plötzlich aufmerksam zuhören, »um eine Vermessung des Friedhofs vorzunehmen.«
    »Des Friedhofs der Unschuldigen?« fragt Madame Monnard nach kurzem Schweigen, in dem nichts als das Schnurren des Katers und das Knistern des Feuers zu hören ist.
    »Ich bin Ingenieur«, sagt er. »Hat man Ihnen das nicht gesagt?«
    »Wer sollte uns das denn sagen?« fragt Monsieur Monnard.
    »Derselbe, der vereinbart hat, dass ich hier Quartier nehme.«
    »Man hat uns lediglich davon unterrichtet, dass ein Herr aus der Normandie ein Zimmer brauchen würde.«
    »Mit Mahlzeiten«, fügt seine Frau hinzu.
    »Ganz recht«, bestätigt Monsieur Monnard. »Eine Morgen- und eine Abendmahlzeit.«
    Ziguette sagt: »Wir hatten einmal einen Musiker bei uns wohnen.«
    »Einen sehr ungewöhnlichen Herrn«, sagt Monsieur Monnard.
    »Mit roten Haaren«, sagt Madame.
    Ziguette macht den Mund auf, als wollte sie etwas hinzufügen; dann, nach einem Taktschlag, einer Viertelnote des Zögerns, macht sie ihn wieder zu.
    »Sie haben einen sehr praktischen Beruf«, sagt Madame mit gefälligem Lächeln. »Man muss Sie beglückwünschen.«
    »Mein Lehrer an der Ecole des Ponts war Maître Perronet. Er ist der größte Ingenieur Frankreichs.«
    Über den Kopf des Katers hinweg applaudiert Madame Monnard ihm mit den Fingerspitzen.
    »Haben Sie denn schon einmal eine Brücke gebaut?« fragt Ziguette.
    »Eine. In der Normandie.«
    »Und was hat sie überspannt?«
    »Die Ecke eines Sees.«
    »Von Seen denkt man nicht, dass sie Ecken haben«, sagt Ziguette.
    »Am besten, Monsieur, sagen Sie Marie«, meint Madame Monnard, »ob Sie morgens lieber Kaffee oder Schokolade möchten.«
    »Der Musiker hat Schokolade gemocht«, sagt Ziguette.
    »Marie wird das Getränk auf Ihr Zimmer bringen, wenn Sie wünschen«, sagt Madame. »Und Wasser für Ihre Toilette. Sie müssen nur sagen, zu welcher Stunde.«
    »Er hat sein Zimmer noch gar nicht gesehen«, sagt Ziguette.
    »Ja, richtig«, sagt ihre Mutter. »Das hat er noch nicht.«
    »Dann werde ich Ihnen helfen, Ihre Truhe die Treppe hinaufzuschaffen«, sagt Monsieur Monnard und erhebt sich. »Sie wird selbst für Marie zu schwer sein.«
     
    Das Zimmer liegt auf der Rückseite des Hauses in dem Stockwerk unter dem Dachboden. Leicht schnaufend tragen die beiden Männer die Truhe die vier Treppen vom Flur aus hinauf. Marie geht ihnen mit einer Kerze voran.
    »Ich denke, Sie werden dort oben alles haben, was Sie brauchen«, sagt Monsieur Monnard.
    »Ja«, sagt Jean-Baptiste, dessen Blick von dem schmalen Bett zu dem Tisch mit Stuhl, dem dreibeinigen Gestell mit der glasierten Blechschüssel, dem schmalen Kamin und dem mit Läden verschlossenen Fenster über dem Bett wandert.
    »Ziguette hat ihr Zimmer auf der anderen Seite des Flurs. Madame Monnard und ich schlafen im Zimmer darunter. Marie wohnt natürlich auf dem Dachboden. Ihr Vorgänger hatte die Angewohnheit, sie zu bitten,
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