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Frevelopfer

Frevelopfer

Titel: Frevelopfer
Autoren: Arnaldur Indriðason
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des Hauses gesehen oder in den vorangegangenen Tagen etwas Ungewöhnliches bemerkt. Zuerst wandte man sich an die Leute in der unmittelbaren Nachbarschaft, und dann erweiterte man nach und nach den Kreis. Elínborg unterhielt sich mit den Polizisten, die die Befragungen durchführten, und bei der Durchsicht der Protokolle stieß sie auf die Aussage einer Frau, die eher am Rande des Wohngebiets lebte. Auch wenn ihre Aussage nicht sonderlich präzise gewesen war, beschloss Elínborg, dieser Frau einen Besuch abzustatten.
    »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob sich das lohnt«, erklärte der Polizist, der die Aussage zu Protokoll genommen hatte.
    »Wieso?«
    »Die Frau ist irgendwie komisch«, sagte der Polizist.
    »Inwiefern?«
    »Sie faselte die ganze Zeit etwas von elektromagnetischer Strahlung und beklagte sich, dass sie deshalb ständig Kopfschmerzen habe.«
    »Elektromagnetische Strahlung?«
    »Sie behauptet, dass sie die selbst mit irgendwelchen Nadeln gemessen hat, die sie besitzt. Die Strahlung kommt angeblich zum größten Teil aus den Wänden bei ihr.«
    »Ach?«
    »Keine Ahnung, ob dir das irgendetwas bringt.«
    Die Frau lebte im Obergeschoss eines zweistöckigen Hauses in einer Parallelstraße, aber doch in einiger Entfernung von dem Haus, in dem Runólfur gewohnt hatte. Es war durchaus fraglich, ob sie etwas gesehen haben konnte. Elínborgs Interesse war trotzdem geweckt, und weil sie ohnehin nicht viel anderes in der Hand hatten, fand sie es vertretbar, sich noch einmal mit der Frau zu befassen und ihr dabei zu helfen, das, was sie gesehen hatte, in klarere Worte zu fassen.
    Die Frau hieß Petrína und ging auf die siebzig zu. Sie empfing Elínborg im Hausmantel und mit verschlissenen Pantoffeln an den Füßen. Unfrisiert, wie sie war, standen ihre Haare wirr in alle Richtungen, das faltige Gesicht war blutleer, und ihre Augen waren gerötet. In der einen Hand hielt sie eine Zigarette. Sie begrüßte Elínborg freundlich und war froh, dass ihr endlich jemand Aufmerksamkeit schenkte.
    »Es wurde aber auch Zeit«, erklärte sie. »Ich werde es dir zeigen. Massive Strahlung, kann ich dir sagen.«
    Petrína ging in die Wohnung, und Elínborg folgte ihr. Beißender Zigarettenqualm schlug ihr entgegen. Im Wohnzimmer war es dämmrig, denn die Frau hatte sämtliche Vorhänge zugezogen. Mit einem kurzen Blick vergewisserte sich Elínborg, dass man aus dem Wohnzimmerfenster tatsächlich auf die Straße vor dem Haus blicken konnte. Die Frau war bereits in ihrem Schlafzimmer verschwunden und rief nach ihr. Elínborg durchquerte das Wohnzimmer und gelangte an der Küche vorbei in das Zimmer, in dem Petrína unter einer einsamen, nackten Birne stand, die von der Decke herunterbaumelte. Bett und Nachttisch waren mitten ins Zimmer gerückt worden.
    »Am liebsten würde ich die Wände einreißen lassen«, erklärte Petrína. »Ich habe bloß kein Geld, um sämtliche elektrischen Leitungen ummanteln zu lassen. Wahrscheinlich bin ich überempfindlich. Guck mal hier.«
    Elínborg blickte erstaunt auf die beiden Längswände des Raums, die vom Boden bis zur Decke mit Alufolie verkleidet waren.
    »Ich kriege fürchterliche Kopfschmerzen davon«, sagte die Frau.
    »Hast du das selbst gemacht?«, fragte Elínborg.
    »Ich? Selbst? Selbstverständlich. Die Alufolie hat ein wenig geholfen, aber meiner Meinung nach reicht das nicht aus. Du musst dir das genauer ansehen.«
    Sie nahm zwei Eisenstäbe und legte sie auf die Handflächen. Die Enden dieser Wünschelrute wiesen in Elínborgs Richtung, die unbeweglich in der Tür stand. Dann drehten sie sich langsam zur Wand hin.
    »Das kommt von den Leitungen«, erklärte Petrína.
    »Wirklich?«, fragte Elínborg.
    »Du siehst, dass die Alufolie ein wenig hilft. Komm mit.«
    Petrína zwängte sich mit der Wünschelrute in der Hand an Elínborg vorbei durch die Tür. Mit den wirr vom Kopf abstehenden Haaren sah sie aus wie die Karikatur eines verrückten Wissenschaftlers. Sie ging ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Das Testbild des isländischen Fernsehens erschien.
    »Krempel die Ärmel hoch«, sagte sie zu Elínborg, die ihr wortlos gehorchte.
    »Komm mit dem Arm hier dicht an den Schirm, aber berühr ihn nicht.«
    Elínborg hielt ihren Arm an den Schirm und sah, wie sich die feinen Härchen unter der Wirkung des Elektromagnetfelds aufrichteten. Sie kannte das auch von ihrem eigenen Fernseher, wenn er eingeschaltet wurde und sie sich in der Nähe befand.
    »So waren die
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