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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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fiel ihm ein, dass sie keine Ahnung hatten, ob sie die Person vor sich hatten, für die die Nachricht bestimmt war. In Gedanken hatte er den Satz formuliert, umgestellt und neu formuliert. Den Satz, der das Dasein von Freitags Ehefrau grundlegend verändern würde. Er schalt sich für seine Unachtsamkeit.
    »Frau Freitag?«
    Die Frau sagte »Ja« und blieb mit hängenden Armen im Eingang stehen.
    »Es ist vielleicht besser, wenn Sie uns einen Moment einlassen würden.« Conrads Stimme klang fürsorglich.
    Als die Frau nicht reagierte, zog er seinen Ausweis aus der Manteltasche und hielt ihn hoch. Schnell streifte ihr Blick das Dokument. Dann trat sie zur Seite, machte ihnen den Weg in das Haus frei.
    An den kurzen Flur, in dem einige Paar Schuhe akkurat nebeneinander standen, schloss sich eine weitläufige Diele an. Eine Treppe führte zur Empore hinauf, auf der mehrere Türen die oberen Räume verschlossen. Wie in einem Film aus den Sechzigern, dachte Conrad.
    Hedwig Freitag schlang die Arme um den Körper, als sei ihr kalt. »Die Polizei? Ist irgendetwas passiert?« Ihre erstaunlich blauen Augen irrten von einem zum anderen. Tiefe Falten und der verhärmte Zug um den Mund ließen die Frau älter erscheinen, als sie vermutlich war.
    »Vielleicht möchten Sie sich setzen?«, begann Conrad. Ihm war unbehaglich. Er hatte nicht den Eindruck, dass er geeigneter wäre als irgendein anderer, um schlechte Nachrichten zu überbringen.
    Hedwig Freitag rührte sich nicht.
    »Wir haben Ihren Mann tot aufgefunden«, sagte er schließlich, weil ihm keine schonende Formulierung einfallen wollte. Die gab es wohl nicht. Der Tod war der Tod, schonungslos und absolut.
    »Tot.« Das war alles, was sie sagte. Nur ihre Augen weiteten sich. Dann drehte sie sich um und ging auf den Sessel neben einem Tischchen zu. Ein Telefontischchen, wie man es früher hatte, nur war es seiner ursprünglichen Aufgabe beraubt, da das Mobilteil der Telefonstation fehlte. Frau Freitag sank in den Sessel und sagte noch einmal »Tot«. Sie legte beide Hände vors Gesicht, alt waren sie, abgearbeitet mit verdickten Gelenken. Conrad nickte Julia aufmunternd zu, sich bereitzuhalten für eine mitfühlende Geste. Aber als die Hände in den Schoß sanken, war das Gesicht der Frau trocken und ausdruckslos. Irgendwo tickte eine Uhr. Julia und Conrad tauschten einen Blick.
    »Was ist passiert?«, fragte Hedwig Freitag mit einer Stimme so fahl wie ihr Kleid.
    »Er ist ermordet worden.« Conrad ließ die Frau nicht aus den Augen, konnte aber nicht die geringste Regung erkennen.
    »Ermordet.«
    Julia und Conrad sahen eine Weile zu, wie sie vor sich hin starrte. Dann wurde es Julia zu viel: »Frau Freitag …«
    »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?« Hedwig Freitag erhob sich abrupt und steuerte auf die Küche zu, die sich rechts an die Diele anschloss. Sie waren gezwungen, ihr zu folgen, wenn sie nicht idiotisch in der Diele herumstehen wollten. Von hinten wirkte die Frau noch kleiner und zarter.
    Die Küche, ein großer, freundlicher Raum mit Möbeln aus Holz und einem zentralen Kochplatz, über dem kupferne Töpfe und Pfannen am Dunstabzug hingen, blitzte so sauber wie die eines Musterhauses. Es roch nach Putzmittel. Vor dem Fenster stand ein Fliederstrauß auf einem restaurierten Eichentisch. Frau Freitag bot ihnen mit einer eleganten Geste, die nicht zu ihr passen wollte, Platz an. Sie befüllte einen chromglänzenden Kaffeeautomaten und stellte Tassen unter die Düsen.
    »Wie?«, fragte sie kaum hörbar gegen den Küchenschrank.
    »Er ist erstochen worden.« Conrad wünschte sich, das Gesicht der Frau sehen zu können. Sie tat ihm den Gefallen. Der Leere war ein Ausdruck von Sachlichkeit gefolgt.
    Geschäftig räumte sie Tassen, Zucker und Sahne auf den Tisch. Schließlich ließ sie sich an der Stirnseite des Tisches nieder und verschränkte die Finger ineinander, löste sie wieder und zupfte an einem Nagelhäutchen.
    »Sie halten mich sicher für herzlos, weil ich nicht in Tränen ausbreche. Es ist auch nicht so, dass es mir nicht leid tut. Gottfried war siebenundfünfzig.« Sie machte eine Pause und blickte Julia gerade ins Gesicht. Eine Locke fiel ihr in die Stirn. »Wir haben uns wohl auseinandergelebt mit den Jahren.«
    Conrad beobachtete, wie sie versuchte, die Locke hinters Ohr zu schieben. »Was meinen Sie damit?«
    »Ich meine, dass ich gewünscht hätte, die Kraft zu haben, mich von ihm zu trennen. Aber ich hatte sie nicht. Nicht, als die Kinder klein
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