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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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seinem Büro offen gelassen. Das tat er sonst nie. Da war er sehr penibel. Man konnte ihn nicht einfach besuchen. Man musste sich durch eine Pflegerin anmelden lassen. Ich hörte ihn im Raum nebenan mit Eck streiten. So habe ich mir erlaubt, einzutreten. Ein verwirrter alter Mann kann sich schon mal in der Tür irren. Und bei der Gelegenheit fielen mir ein paar Dokumente in die Hand. Ich dachte, es wäre ganz nützlich, sie zu kopieren.« Ostendarps Narbe verzog sich auf skurrile Weise.
    »Sie sind mir ja einer.« Julia lächelte interessiert zurück. »Und was für Dokumente sind das?«
    »Abrechnungen.«
    »Abrechnungen?«
    »Ja.«
    »Nun machen Sie es doch nicht so spannend, Herr Ostendarp.«
    »Ein bisschen Spaß müssen Sie mir schon gönnen, geschätzte Kollegin. Ich darf Sie doch so nennen?«
    »Es ist mir eine Ehre.« Julia stellte die Kaffeetasse ab. »Und?«
    »Es sind Abrechnungen über Leistungen. Nahrungsmittel, Wasser, Fruchtsäfte, Dinge des täglichen Lebens. Nur, dass diese Leistungen nicht erbracht worden sind. Ich habe ein Tagebuch darüber geführt, was es zum Abendessen gab. Hab mich mit anderen Bewohnern unterhalten. Die Diabetiker sind besonders schlecht dran.« Ostendarp schob sich eine Gabel mit Apfelkuchen in den Mund und kaute genüsslich.
    »Hm«, machte Julia. Sie begriff noch immer nicht. Ostendarp nuschelte zwischen zwei Happen: »Das sieht nach nicht viel aus. Aber wenn man mal überlegt, was es ausmacht, wenn man vierundneunzig Bewohnern Saft berechnet, aber Leitungswasser serviert, dann kommt einiges zusammen. Und wenn man die anderen Einsparungen dazuzählt …«
    Jetzt kapierte Julia endlich. »Die Einsparung hat sich Freitag in die Tasche gesteckt.«
    Ostendarp nickte. »Das ist ja noch nicht alles. Ich habe es ja schon angesprochen: das ständig wechselnde Personal. Ein paar der jungen Frauen hatte ich wirklich gern. Und es hat einige Zeit gedauert, bis ich begriff, dass sie nicht wiederkommen würden. Dann habe ich mir das genauer angesehen.«
    Eine rundliche Kellnerin trat an den Tisch. »Darf’s noch etwas sein, Herr Ostendarp?«
    »Aber gerne, meine Liebe. Herrensahne wäre nicht schlecht.« Der alte Mann schob sich das letzte Stück Apfelkuchen in den Mund. »Für Sie auch?«
    Julia hob die Hand. »Danke, nein.«
    Der Pferdeschwanz der Kellnerin wippte lustig hinter ihr her.
    »Seit ich im Heim wohne, habe ich immer Hunger.«
    »Das ist ja schrecklich.«
    »Eben. Also, das Personal. Ich habe mit der klugen Irina Glück gesprochen. Anfangs war sie sehr zurückhaltend. Aber schließlich konnte ich ihr Vertrauen gewinnen.« Ostendarp zwinkerte Julia zu. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass ihm das gelungen war.
    »Irina hat mir erzählt, dass sie sehr, sehr wenig verdient.«
    »Diese Jobs werden wirklich zu schlecht bezahlt.«
    »Das auch. Aber besonders schlecht ist es, wenn man das im Schweiße seines Angesichts verdiente Geld auch noch an seinen Chef abgeben muss.«
    Julia kniff die Augen zusammen. »Und dafür haben Sie Beweise?«
    Die Torte kam, und Ostendarp schaute dem Pferdeschwanz nach. Dann rammte er die Gabel in die Sahne, teilte die Torte in mundgerechte Stücke, bis ein unansehnlicher Haufen auf seinem Teller entstanden war. Er ermordet sein Essen, dachte Julia.
    »Nein«, sagte Ostendarp. »Beweise habe ich dafür leider nicht. Diese Art von Dokumenten hat Freitag nicht offen herumliegen lassen. Ich hoffe, Sie finden welche, wenn Sie wissen, wonach Sie suchen müssen.«
    »Zumindest einen Hinweis. Denken Sie denn, dass eine der Mitarbeiterinnen Freitag erstochen hat?«
    Ostendarp leckte sich einen Krümel von der Lippe. »Ich weiß es nicht. Auszuschließen ist nichts. Die Streitigkeiten mit Eck waren allerdings kein Geheimnis. Obwohl man sich das von Eck schwer vorstellen kann. Aber wem traut man schon einen Mord zu?«
    »Ja, wem traut man schon einen Mord zu.« Julia sah auf Ostendarps Kuchenteller, der sich zu zwei Dritteln geleert hatte. »Ich danke Ihnen, Herr Kollege. Könnten Sie uns Ihre Unterlagen zur Verfügung stellen?«
    »Hm.« Ostendarp blickte Julia eindringlich an. »Eine Kopie von meiner Kopie können Sie haben. Ich gebe meine eigenen nicht gerne aus der Hand. Nicht einmal der Polizei. Reicht Ihnen das?«
    »Vollkommen.« Julia rutschte auf ihrem Stuhl herum.
    »Gehen Sie ruhig, Frau Morgenstern. Ich bleibe noch eine Weile. Auf mich wartet ja niemand. Wenn ich jemanden fände, der mich ins Konzerttheater begleiten würde. Die Fledermaus, wissen
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