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freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani

Titel: freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
Autoren: Claudio Paglieri
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leisten.«
    »Vollidioten. Irgendwelche Abschiedsbriefe?«
    Giampieri hatte keine Lust mehr zu antworten.
    »Hab keine gesehen«, sagte er eilig, dann suchte er nach einem Vorwand, um sich zu verdrücken: »Während du dich umschaust,
     fange ich die Leute von der Spurensicherung ab. Der Staatsanwalt müßte auch jeden Moment eintreffen. Calabrò, stell dich hier
     draußen auf und halte Ausschau.«
    Marco Luciani blieb allein in der Kabine zurück, vor dem Leichnam des Schiedsrichters.
    |17| Er war es.
    Luciani hatte ihn auf Anhieb wiedererkannt, trotz seines aufgedunsenen, verzerrten Gesichts. Doch der Kommissar nahm sich
     vor, erst einmal nicht daran zu denken.
    Wenn er nach dem unmittelbaren, rein gefühlsmäßigen Eindruck ging, dann war dies der Schauplatz eines Selbstmords, kein Raum,
     in dem ein Mord passiert war. Vielleicht, weil das Szenario insgesamt eher aufgeräumt wirkte, vielleicht lag es auch nur an
     einer bestimmten Spannung in der Atmosphäre, oder an dieser unglaublichen Tristesse, wie im Umkleideraum einer Schule oder
     eines drittklassigen Fußballclubs der siebziger, achtziger Jahre. Ob sich auch die Spieler in so deprimierenden Kabinen umzogen?
     fragte Luciani sich verwundert, aber das konnte nicht sein, dies war wohl nicht die offizielle Schiedsrichterkabine.
    Vielleicht, dachte er, war der Schiri tatsächlich nur hierhergekommen, um mit allem Schluß zu machen.
    Er schaute sich um und versuchte, die Umgebung in seinem visuellen Gedächtnis zu speichern, eine Wand nach der anderen. Er
     versuchte sich alle Gegenstände einzuprägen, ihre Form, ihre Lage, ihre Farbe. Wenige Stunden später würde er die Fotos von
     der Spurensicherung bekommen, aber einer Fotografie fehlte immer die räumliche Tiefe, und vor allem erkannte man darauf kaum,
     ob ein Gegenstand an seinem rechten Platz war.
    Rechte Wand: Eine Holzbank mit Trittleiste und vier Garderobenhaken. Dort hingen Hose, Hemd, Jackett und Krawatte: die Kleider
     des Schiedsrichters, in perfekter Ordnung. Eine schwarze Sporttasche stand auf der Bank. Die Schuhe, darin die Socken, nicht
     zusammengeknüllt, sondern zusammengelegt. Luciani fiel auf, daß sie farblich auf die Krawatte abgestimmt waren.
    An der gegenüberliegenden Wand zwei alte Poster der Federazione Calcio: Zeichnungen von Schiedsrichtern, mit |18| rechtschaffen-wackerem Blick, einer hatte die Pfeife im Mund, der andere hielt in der Linken den Ball, die Rechte reichte
     er einem Spieler, und alle lächelten. Ein Kruzifix; eines von denen, die dir direkt in die Augen schauen, damit du dich schuldig
     fühlst. Auf etwa achtzig Zentimeter Höhe verlief ein waagerechter Schmutzstreifen, vermutlich stieß dort gewöhnlich der Tisch
     an die Wand. Es mußte ermittelt werden, wann und von wem er verschoben worden war.
    An der linken Wand befand sich eine Massageliege mit weiß lackierten Beinen und einer grünen Auflage, auf die man die Stricke
     geworfen hatte: das dicke Seil, an dem der Leichnam gehangen hatte, und die dünnere Handfessel. Wer weiß, warum sie den Schiri
     auf den Tisch gelegt haben, dachte Luciani, und nicht auf diese weichere Liege? Vielleicht, weil zu einer Leiche eine harte
     Oberfläche paßte, wie die Bahre der Totengräber. Oder vielleicht einfach nur, weil der Tisch in Reichweite gewesen war.
    Links, neben der Tür, die Lichtschalter und ein Handwaschbecken aus Keramik. Ein Seifenhalter und eine Spiegelkonsole, auf
     der eine Packung Papiertaschentücher lag. Am Boden ein Papierkorb aus Plastik, leer. Zur Rechten nur die nackte Wand, der
     Freiraum, in den das Türblatt schwang.
    Auf dem Fußboden ein umgestürzter Metallstuhl mit hölzerner Sitzfläche, darauf kleine Erdspuren. Unter dem Tisch ein Lampenschirm
     aus Plastik. An der Decke der Haken, an dem man das Seil befestigt hatte. Es mußte festgestellt werden, wo genau sich der
     Stuhl befunden hatte, denn auf den ersten Blick schien er zu weit entfernt von der Vertikalachse unter dem Haken.
    Luciani nahm sich noch einmal des Schiedsrichters an. Wären nicht die Fußballschuhe an seinen Füßen gewesen, hätte er an Andrea
     Mantegnas Christusbild erinnert. Er hatte die Schuhe nicht ausgezogen, dachte Luciani, im Gegensatz zu vielen anderen Selbstmördern.
     Aber vielleicht |19| tun sie das nur, wenn sie aus dem Fenster springen, nicht wenn sie sich erhängen wollen. Aus der Brusttasche des schwarzen
     Trikots schauten Rote und Gelbe Karte heraus. Und ein Bleistift.
    Nun suchte er den Boden ab,
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