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Freddy - Fremde Orte - Blick

Freddy - Fremde Orte - Blick

Titel: Freddy - Fremde Orte - Blick
Autoren: Martin Clauß
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und lebendig, auch wenn ihr gerötetes Gesicht Aufregung und Angst verriet. Das Bild hätte sich als Aushangbild für einen Horrorfilm geeignet. Eine junge Schöne in einer feindlichen Umgebung.
    „Eine Deutsche, wie die anderen?“, sprach Miura eine Vermutung aus.
    „Achtet mal auf die Kleider, die sie trägt“, warf Andô ein. „Die anderen vier vom Filmteam haben die Mode der Siebziger an. Was sie am Körper trägt, ist wesentlich moderner. Sie gehört in unsere Zeit.“ Der Psychiater betrachtete das fremde Gesicht mit großem Interesse. Er fragte sich, welche Rolle diese Frau in dem Rätsel spielen mochte, das der Film darstellte.
    „Und jetzt zeige ich euch etwas anderes“, sagte Takase. „Ihr werdet denken, ihr träumt.“
    Eine Ankündigung wie diese passte eigentlich nicht in ihre Runde. Und sie passte auch nicht zu Takase. Ihre Auffassung von der Wirklichkeit war um ein Vielfaches weiter und toleranter geworden, seit sie mit dem Film zu tun hatten. Und gerade Takase schien sich über gar nichts mehr zu wundern.
    Der Techniker nahm das winzige 8-Millimeter-Bild aus dem Projektor, ließ es zunächst fallen und fing es mit erstaunlichem Geschick auf, als das dünne Stück Zelluloid durch die Luft flatterte. Nun legte er es auf den Objekttisch eines Mikroskops, presste ein Auge gegen das Okular und justierte das Gerät am Drehknopf. Es dauerte Minuten, bis er einen zufriedenen Eindruck machte und seinen Geldgeber ans Mikroskop einlud.
    In dieser Zeit gingen Andô tausend Dinge durch den Kopf, und nichts davon machte Sinn. Miura beanspruchte das Gerät geschlagene zehn Minuten lang für sich, dann löste er sein Auge vom Okular. Ein roter Kreis zeichnete sich rund um sein Auge ab, so hatte er sein Gesicht gegen den Gummiring gedrückt. Seine Miene war absolut durch nichts zu beschreiben, und er sagte kein Wort.
    Schließlich durfte Dr. Fumio Andô, der unterste in der Hierarchie dieser drei Männer, ebenfalls einen Blick riskieren. Er hatte darauf gewartet wie ein gut erzogener Hund auf sein Leckerli.
    Das Mikroskop war auf ein Auge der Frau eingestellt. Riesig wie ein kosmischer Nebel war die grüne Iris zu erkennen, wabernd, geheimnisvoll und wunderschön. Ebenfalls von enormer Größe bildete sich die Pupille ab, eine gewaltige schwarze Sonne mit grellen Glanzlichtern darauf. Diese Lichter wiederum waren es, die Andô den Atem raubten, wie sie auch Miura den Atem geraubt hatten.
    In der Helligkeit bewegte sich etwas. Sobald sich das eigene Auge daran gewöhnt hatte, sah es darin bewegte Szenen, wie in einem Film. Die Kamera schien sich durch Räume zu bewegen. Menschen tauchten auf, neue Räume, lange Gänge. Sie gehörten offenbar zu demselben Schloss, das auch der Film abbildete.
    Schloss Falkengrund im deutschen Schwarzwald! Die Personen im Film hatten den Namen verwendet, und der Mann, der Miura den Film besorgt hatte, hatte ihn ebenfalls erwähnt.
    Andô löste sich von dem Mikroskop, und als er auf die Uhr sah, stellte er fest, dass er eine Viertelstunde lang hineingesehen hatte. Er blinzelte, rieb sich die brennenden Augen. Es war anstrengend gewesen, den Geschehnissen zu folgen, und doch konnte man sich kaum davon trennen und vergaß sofort, dass man die ganze Zeit über nichts anderes tat als in das vergrößerte Auge einer Fotografie zu blicken!
    Takase hatte sich wieder Whisky nachgeschenkt und saß mit stumpfem Blick am Tisch. Miura hatte sich mitten im Zimmer auf der Tatami-Matte ausgestreckt und starrte an die Decke. Also nutzte Dr. Andô die Chance, um sich noch einmal dem Mikroskop zuzuwenden.
    Diesmal sah er etwas, was ihn ernsthaft an seinem Verstand zweifeln ließ.
    Die Personen, die er in dem Auge erkannte, waren in der Hauptsache junge Leute, Weiße, männlich und weiblich. Die Person, die die Kamera trug (damals glaubte er noch an eine Kamera), betrat eine Bibliothek. Dort saß ein älterer, hagerer Mann, der mindestens fünf Bücher aufgeschlagen vor sich auf dem Tisch liegen hatte.
    Der Nebentisch kam ins Bild, mit einer jungen Asiatin.
    Es war nicht irgendeine Asiatin. Er kannte sie.
    Es war Madoka, seine Tochter.
    Dr. Fumio Andô würde diesen Moment nie vergessen. Die ganzen Erkenntnisse der folgenden Monate konnten die Erinnerung an diesen einzigartigen Augenblick nicht überdecken.
    Und es waren eine Menge Erkenntnisse gewesen: Sie hatten später festgestellt, dass sie nicht durch eine Kamera, sondern tatsächlich durch die Augen dieser rothaarigen Frau sahen. Dass die
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