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Frau Prinz pfeift nicht mehr

Titel: Frau Prinz pfeift nicht mehr
Autoren: A Scheib
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konnten, daß sie aller Welt demonstrieren müßten,
     wie schamlos sie waren. Berthold hatte es gehört und wieder vergessen, bis er eines Tages aus dem Fenster in den Garten schaute,
     wo die Molden Kirschen von den tief herunterhängenden Ästen des Baumes pflückte. Unbemerkt von ihr war ihr Mann herangekommen,
     hatte sie von hinten so überraschend umarmt, daß sie einen kleinen |171| , erschreckten Laut ausstieß und sich zu ihm umwandte. Die in dem nun folgenden Kuß sichtbare Leidenschaft der beiden weckte
     in Berthold wieder seine Sehnsuchtsträume. Genauso wie der Nachbar seine Frau küßte, mit dieser rechenschaftslosen Hingabe,
     dem Verschmelzungswillen, mit dieser Kraft und Gewalt und Süße wollte Berthold auch ans Werk gehen. So wie die Nachbarin sich
     ihrem Mann entgegenbog, so sollte eine andere junge Frau es bei ihm tun, nur noch schamloser, hemmungsloser, glutvoller, denn
     er würde mit ihr nicht in einem Garten stehen, sie hätten ein Bett, und was für ein Bett sie hätten, dafür würde Berthold
     sorgen   ...
     
    Doch nun war alles anders geworden. Die Molden hatte erreicht, daß Berthold nicht einmal mehr seine Träume besaß. Die Leute
     im »Werkstattkino« würden ihn verachten. KEIN EINLASS NACH BEGINN DER VORSTELLUNG, stand auf dem Schild an der Tür zum Kino.
     Sie würden ihn nicht mehr einlassen, überhaupt nicht mehr. BIZARR? GROTESK? UNVORSTELLBAR? So stand es ebenfalls an |172| der Tür vom »Werkstattkino«, und die Molden hatte dafür gesorgt, daß alles im negativen Sinn auf Berthold zutraf. Sie hatte
     ihn aufgespürt, an die Polizei verraten.
    Zwischen den Leuten, die auf die U 1 warteten, leuchtete ihre gelbe Lederjacke. »Viel zu gelbfür eine anständige Frau«, hatte
     Ingrid immer gesagt – doch Berthold kam das Gelbsehr zustatten, denn mit dem Lärm auf der Treppe, mit dem eine große Truppe
     Kinder, wahrscheinlich mehrere Schulklassen, auf den Bahnsteig rannte, war ihm plötzlich klar, was er tun würde.
     
    Zwischen den Schülern und zwei kräftigen Männern, vorn an der Bahnsteigkante, sah Berthold das helle Gelbschimmern, von hinten
     drängten ihn Schüler und Erwachsene, denn der Zug kam jetzt mit einem bedrohlichen Röhren aus dem Tunnel, Berthold wurde nach
     vorn geschoben, er selber stieß mit seiner Hand blitzschnell in das matte Gelb, er hörte einen Schrei, viele Schreie, Berthold
     hörte sich mitschreien, dann trat er mit den anderen Fahrgästen zurück, wie es eine Lautsprecherstimme befahl |173| , und später wußte Berthold nicht mehr, wie er anschließend in die Max-Ernst-Straße gekommen war.

15
    Agnes Molden hockte zitternd mit anderen Fahrgästen auf den Metallbänken. Polizei und Notarzt waren verständigt, der Lehrer
     sprach beruhigend auf die Schüler ein, die an der Treppe zum Ausgang eng aneinandergedrängt standen und auf die Gleise starrten.
     Der Junge, der vor die U-Bahn gefallen war, trug einen gelben Anorak, es war Agnes aufgefallen, daß der Anorak denselben Ton hatte wie ihre Lederjacke.
    »Er hat einen Stoß gekriegt. Von hinten.« Ein Mann sagte es plötzlich leise, aber bestimmt. Fast hätte Agnes entgegnet, daß
     dieser Stoß wahrscheinlich ihr gegolten habe, sie hütete sich jedoch, ihren grausigen Verdacht preiszugeben.
    Als die Sanitäter mit der Bahre aus dem |174| Schacht stiegen, fragten Polizisten Agnes und die anderen Fahrgäste, obsie etwas Auffälliges bemerkt hätten. Der Mann beharrte
     wieder darauf, daß er eine Hand gesehen habe, die den Jungen von hinten gestoßen habe. Doch niemand von den anderen hatte
     das bemerkt, alle waren auf den Zug konzentriert gewesen, darauf, möglichst schnell aus der Kälte in das warme Innere des
     Wagens zu kommen. Die Polizei bat den Tatzeugen, noch zu bleiben, alle anderen gaben ihre Personalien an und konnten dann
     gehen. Der U-Bahnhof blieb gesperrt.
     
    Als Agnes, ihre Tasche an der Hand, zum Ausgang hochstieg, war es ihr, als könne sie keinen Schritt mehr gehen, so erschöpft
     und voller Grauen war sie. Das Herz machte ihr zu schaffen, wie immer, wenn sie in eine Ausnahmesituation geriet. Sie spürte,
     wie ihr eiskalt wurde, wie das Herz aussetzte, mit rasenden Schlägen wieder begann, um dann erneut zu pausieren, was in Agnes
     immer wieder Panikzustände auslöste. Sie zwang sich, ihre Stiefel im Schnee |175| präzise voreinander aufzusetzen, sie konzentrierte sich völlig auf ihren Gang, Schritt für Schritt würde sie vorankommen,
     bald daheim sein, kaltes
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