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Frau Paula Trousseau

Frau Paula Trousseau

Titel: Frau Paula Trousseau
Autoren: Christoph Hein
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hatten mir gesagt, ich benötige unbedingt einen eigenen Galeristen, anders könne man nicht mehr verkaufen, aber meine Versuche waren wohl zu zaghaft, ich hatte keinen für mich gewinnen können.
    Als ich mit den Bildern daheim ankam, schrieb ich sofort an Gerda Heber und fragte nach unserem Buch. Da ich keine Antwort erhielt, rief ich sie zwei Monate später an. Am Telefon druckste sie herum und bat um Geduld, im Verlag gehe es augenblicklich drunter und drüber, manhoffe, ein großer Buchkonzern übernehme den Verlag, und alle setzten ihre Hoffnungen auf diesen Verkauf.
    Im August traf ein dickes Paket von Gerda Heber ein mit meinen Blättern, dem Manuskript und dem Andruck. Sie schrieb, sie sei entlassen und das Buch werde nicht gedruckt, die neue Geschäftsleitung sei nicht interessiert. Sie hoffe, schrieb sie, mich irgendwann zu sehen, sie wisse nicht, ob sie in Berlin eine neue Arbeit finde, sie wisse nicht einmal, ob sie in der Stadt bleibe oder nicht nach Süddeutschland ziehen werde. Die mir gezahlte erste Rate des Honorars werde der Verlag nicht zurückfordern, dies sei ihr versichert worden. Der Brief endete mit dem Satz: Ich habe gern mit Ihnen zusammengearbeitet, vielleicht ein andermal wieder.
    Ich saß zu dieser Zeit an meinen Merianbildern. Ein halbes Jahr zuvor hatte ich ein erstes Ölbild nach den Aquarellen von Maria Sibylla Merian begonnen, und jetzt stand bereits die fünfte Leinwand auf der Staffelei. Ich malte nur Blumen und große Insekten vor einer angedeuteten Landschaft, keine Personen kamen ins Bild, keinerlei menschliche Spuren, nichts als Natur, die zugleich anziehend und schrecklich war, bedrohlich für den Betrachter durch ihre Größe und Nähe. Die Merianfarben hatte ich zurückgenommen, ihre hellen und warmen Farbtöne waren bei mir düsterer, dunkler, einsamer. Die Arbeit hatte als Experiment begonnen, es gab anfangs eine ungefähre Hoffnung, eine sehr allgemeine und ungenaue Vorstellung über die Möglichkeiten dieser Motive. Beim Betrachten der alten Bilder hatte ich etwas gespürt, was ich nicht benennen konnte, aber deutlich zu erkennen glaubte: Diese Bilder erzählten im Verborgenen etwas von mir, ich brauchte es nur herauszuarbeiten, hervorzuheben, zu enthüllen. Die Arbeit machte mich süchtig, ich malte entgegen meiner Gewohnheit auch bei künstlichemLicht noch spätabends, und ich stand früh auf, nur um wieder an die Staffelei zu kommen.
    Als ich vor der vierten Leinwand saß, war mir eingefallen, diese Bilder mit kurzen Texten zu versehen, die nichts erläutern und erklären, vielmehr eine weitere Dimension eröffnen sollten. Der Gedanke hatte mich selbst überrascht, denn zuvor hatte ich jede Art von Collagen vermieden, mich hatte ihre Beliebigkeit gestört, sie waren mir aufgesetzt erschienen, willkürlich, eine Vergewaltigung der Materialien, doch bei meinen Merianbilder schienen mir plötzlich ein paar Worte mehr als angebracht, sogar notwendig. Ich setzte das fertige erste Bild nochmals auf die Staffelei und skizzierte mit Blei das Wort: Unwiderstehlich in Fraktur zwischen die Blüten, und in einer kleineren Schriftgröße schrieb ich an den unteren Bildrand: das ist die Bitte, geliebt zu werden . Dann nahm ich die beiden anderen fertigen Bilder und setzte in Frakturschrift auch bei ihnen kleine Sätze ein, Wortsplitter, die mir in der Haut steckten und von denen ich hoffte, sie würden dem Betrachter unter die Haut gehen. An den folgenden zwei Tagen führte ich die skizzierten Buchstaben in Sepia und einem dunklen Grün aus, die kurzen Sätze zogen sich durch die Bilder wie ein schwerer Schmuck, zurückhaltend genug, um nicht zu einem falschen Zentrum des Bildes zu werden, und zugleich dunkel und irritierend. Die Arbeit hatte einen Schaffensrausch in mir ausgelöst.
    Die nächsten zwei Jahre wurden finanziell schwierig. In den Jahrzehnten davor besuchten mich ab und zu ein paar Leute, um sich im Atelier meine letzten Arbeiten anzusehen und ein oder zwei Blätter zu kaufen. Es waren Musiker aus der Umgebung und drei Ärzte. Als ich Gerda Hebers dicken Brief mit meinem Manuskript erhalten hatte, war mir aufgefallen, dass sich in den letzten Monaten keiner meiner Verehrer gemeldet hatte, ich seitMonaten nichts mehr verkauft hatte und es auch keine Absprachen über neue Ausstellungen gab. Ich telefonierte mit einigen Kollegen, keinem erging es besser, und mehrere klagten heftig, es gab aber auch Kommilitonen, die sich mit der neuen Situation glänzend arrangiert
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