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Frau des Windes - Roman

Frau des Windes - Roman

Titel: Frau des Windes - Roman
Autoren: Insel Verlag
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Vater Carrington umringen, der ihnen Sherry oder Whisky anbietet, worauf sie mit dem Schwanz wedeln und bellend lachen.
    Tagelang hält sich der Geruch nach Stall, Erde, Schweiß und Blut.
    Harold jagt Fasane, Hunderte von Wildenten, Wachteln, Hasen und Tausende von Rebhühnern, die später bei Bestattungen als Pasteten, Terrinen, Mousse oder Braten auf dem Tisch stehen. Mit ihren toten Äugelchen bekunden die Rebhühner die Macht der väterlichen Chemieindustrie, die nicht umsonst ›Imperial‹ heißt. Auch Harold ist Herrscher über ein Reich, sticht sein Messer ins Fleisch und erteilt Befehle. Bringt, holt, setzt, macht. Leonora findet es widerlich, dass die Jagd in ihrem Teller endet. Einmal träumt sie nachts von einem blutenden Kaninchen, das tot auf ihrem Bauch liegt.
    Harold Carrington weiß nicht, dass der Fuchs lachend hinter seinem Stuhl sitzt, der Wolf augenzwinkernd zur Tür hereinschaut, der Hirsch über den Tisch spaziert und die Rebhühner Ringelreihen tanzen; für Leonora sind sie kein Jagdwild mehr, auch keine Kadaver, sie haben die Partie gewonnen und machen sich lustig über die Gewehre und die Hetzhunde mit ihren hängenden Zungen.
    »Die Hunde sind reinrassig, und das sind auch die Kinder«, sagt die hochnäsige Gouvernante zu Mary Kavanaugh, die sie nur halb versteht.
    »Ich sehe aber, dass die Kinder mit allen reden, mit Hunden, Katzen, Enten und mit den Gänsen, die einen langen Hals machen und weiterwatscheln.«
    »Die Kinder sollten sich lieber hinter ihr Latein und ihr Griechisch klemmen. Weniger Phantasie und mehr Wissen, das ist alles, was ich von ihnen verlange! Wissen bedeutet Präzision, und diese Kinder kommen mir vor wie im Opiumrausch.«
    »Aber mit ihnen sprechen die Tiere sogar, wenn sie es eilig haben.«
    »Sie, Nanny, sind doch schuld daran, dass sie so verrückt sind.«
     
    Einer von Patricks Lehrern, der Jesuitenpater O’Connor, kommt jeden Sonntag, um in der Kapelle von Crookhey Hall die Messe zu lesen, die auch einige Nachbarn und Gäste besuchen. Obwohl Harold Protestant und sein einziges Kredo die Arbeit ist, hat Maurie ihren Katholizismus durchgesetzt. Überdies ist der Priester ein kluger Mann. Nach der Messe laden sie ihn häufig zum Abendessen ein.
    »Kommt, wir schauen uns den Himmel an«, schlägt er vor, »hier im Norden sind die Spirale des Andromedanebels und einige andere Sternbilder sehr deutlich zu sehen.«
    Auf Leonoras Gesicht schimmert das Licht des hellsten Sterns, des Orion. »Sieh mal, dort ist Venus.« Die Planeten drehen ihre Bahnen über den Köpfen der Kinder.
    »Diese Spirale habe ich schon einmal im Traum gesehen, ich sehe sie nicht zum ersten Mal«, sagt Leonora.
    »Weil die Trennlinie zwischen Wirklichkeit und Einbildung sehr dünn ist«, erwidert Pater O’Connor.
    »Meine Familie behauptet, ich sähe Gespenster, seit ich zwei Jahre alt bin, und niemand glaubt mir außer Nanny und Gerard.«
    »Es gibt Männer und Frauen, die im Traum sehen, was ihnen widerfahren wird.«
    »Ich habe keine Ahnung, was mit mir passieren wird, aber ich weiß genau, was ich nicht will.«
    »Was wollen Sie denn nicht, Prim?«
    »Nennen Sie mich nicht Prim. Ich will nicht machen, was alle machen.«
    »Ja, ich habe gehört, dass es nicht ganz einfach ist mit Ihnen.«
    Pater O’Connor kommt nicht nur wegen der Sonntagsmesse, sondern auch weil das einzige Mädchen der Carringtons ihn neugierig macht.
    »Bei Vollmond schlafe ich sehr schlecht.«
    »Warum?«
    »Weil sie eine Wölfin ist«, mischt Gerard sich ein. »Haben Sie sie noch nie den Mond anheulen hören?«
    »Eines Nachts habe ich einen Fleck auf dem Teppich gesehen, aber ich konnte mich nicht erinnern, dass ich etwas verschüttet hatte. Da habe ich hochgeschaut und sah, dass ein Mondstrahl sich zu meinen Füßen ausbreitete. Stimmt es, dass der Mond vierzehntausend Verwünschungen in sich trägt? Einmal habe ich miterlebt, wie er im See ertrunken ist. Gibt es Wasser auf dem Mond, Pater O’Connor?«
    »Wo Wasser ist, ist auch Leben.«
    »Und? Gibt es dort Wasser?«
    »Ich glaube, das hat noch niemand erforschen können.«
    Das Mädchen verblüfft ihn. Neugier sei die größte aller Tugenden und Wissen das Ende jeden Wunsches, sagt er. Wohin ihr verrücktes Temperament sie wohl noch führen wird?
    »Der Mond ist eine Wüste mit Kratern«, erklärt Pat.
    Die kleine Leonora ist nur schwer zu fassen. Sie lacht nur selten, darum freut sich Pater O’Connor, wenn sie lächelt oder fröhlich ist. Als sie ihm sagt,
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