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Franzosenliebchen

Franzosenliebchen

Titel: Franzosenliebchen
Autoren: Jan Zweyer
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Bibel und die anderen taten es ihm nach. Mit
salbungsvoller Stimme begann Saborski aus dem Johannes-Evangelium
zu zitieren: »Aber die
Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu ihm, beim
Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu
ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch
ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche
Frauen zu steinigen. Was sagst du? Das sagten sie aber, ihn zu
versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus
bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die
Erde.«
    Die Tür wurde
aufgerissen und drei französische Soldaten betraten den Saal,
begleitet von einem Zivilisten.
    »Ausweiskontrolle«,
rief Letzterer auf Deutsch in die Runde.
    Unbeeindruckt
rezitierte Wilfried Saborski weiter: »Als sie nun fortfuhren,
ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter
euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf
sie.«
    »Die
Ausweise«, forderte der Polizist erneut. »Dalli,
dalli.«
    »Diese
ungeladenen Besucher stören das Wort des Herrn«,
entgegnete Saborski ruhig, klappte die Bibel aber zu und
zückte seine Papiere. Wortlos und ohne die Soldaten eines
Blickes zu würdigen, legte er seinen Ausweis vor sich auf den
Tisch.
    Der Franzose griff
danach und musterte das Dokument gründlich, während die
Soldaten die anderen Anwesenden kontrollierten. »Was machen
Sie hier?« 
    Saborski hielt die
Bibel hoch. »Das sehen Sie doch«, erwiderte er.
»Wir lesen die Bibel. Warum bedrohen französische
Soldaten friedliebende Gläubige mit der
Waffe.«
    Misstrauisch
beäugte sein Gegenüber die Männer. »Warum sind
keine Frauen hier?«, wollte er wissen.
    »Unter den
Jüngern des Herrn waren auch keine Frauen, wenn ich mich recht
erinnere«, erwiderte Saborski. »Oder?«
    Unwirsch gab der
Polizist die Papiere zurück. »Die Ausgangssperre beginnt
um neun Uhr.«
    »Dann sind wir
selbstverständlich wieder bei unseren Familien«,
antwortete Saborski. »Schließlich wollen wir ja nicht
mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Auch wenn es sich um ein
aufgezwungenes Gesetz handelt.«
    »Passen Sie auf,
was Sie sagen!«, blaffte der Franzose. »Und beten Sie
schön.«
    Dann verließ er,
gefolgt von den Uniformierten, den Raum.
    Wenig später
öffnete der Wirt erneut die Tür. »Die Luft ist
rein. Sie sind weg.«
    Die Anspannung der
Männer machte sich in lautem Gelächter Luft.
    Breit grinsend zeigte
Saborski auf die Bibel. »Gottes Wort ist wirklich ein Helfer
in der Not, nicht wahr?«

5
    Freitag, 2. Februar
1923
    Die Familie
Schafenbrinck hatte den Bau ihrer Stadtvilla kurz nach der
Jahrhundertwende in Auftrag gegeben. Das nach fast zwei Jahren
fertiggestellte Gebäude bot auf drei Etagen
großzügig Platz. Zur Straßenseite hin zierten die
Fassade sorgsam ausgearbeitete Ornamente und Figuren, die Szenen
aus der Bibel darstellten. Die Gartenfront war schlichter
gestaltet.
    Abraham Schafenbrinck
hatte schwer darum kämpfen müssen, vom hiesigen
Bürgertum akzeptiert zu werden. Sein Vater Samuel war wenige
Jahre nach Abrahams Geburt zum Christentum konvertiert und die
ganze Familie, mit Ausnahme der schon recht betagten
Großmutter, folgte seinem Beispiel. Aber unter dem
unterschwelligen Antisemitismus hatte die Familie auch nach dem
Religionswechsel noch zu leiden. So zum Beispiel hatte der Pfarrer,
als Samuel Schafenbrinck kurz nach dem Übertritt
überraschend starb, eine christliche Beerdigung mit dem
Argument verweigert, dass der Verstorbene schließlich im
jüdischen Glauben erzogen worden und es den übrigen
Mitgliedern der Gemeinde nicht zuzumuten sei, um ihre
Angehörigen an Grabstätten zu trauern, die unmittelbar
neben der eines geborenen Juden lagen. So fand der Vater Abrahams
schließlich seine letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof
im Norden Recklinghausens, wo auch schon die Ahnen der Familie
begraben lagen.
    Dabei empfanden sich
die Mitglieder der weitverzweigten Familie ausnahmslos als deutsche
Patrioten. Viele männliche Familienmitglieder hatten in den
letzten Kriegen auf deutscher Seite gekämpft, nicht wenige von
ihnen waren mit Tapferkeitsorden ausgezeichnet worden. Doch in den
Augen ihrer christlichen Mitbürger blieben sie vor allem eins:
Juden. Und damit für die meisten Deutschen ein
Fremdkörper. Erst Abraham Schafenbrinck war es dank seines
wirtschaftlichen Erfolges gelungen, gesellschaftliche Barrieren zu
überwinden - zumindest dem äußeren Anschein nach
war die Familie in der Bürgerschaft
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