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Franzosenliebchen

Franzosenliebchen

Titel: Franzosenliebchen
Autoren: Jan Zweyer
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musterte die Umstehenden, »…
vielen Dank für eure Hilfe. Wer noch einen heißen Kaffee
und eine Schnitte möchte, kann mit zu uns kommen. Ihr seht so
aus, als ob ihr etwas Warmes im Bauch vertragen
könntet.«
    Die Leute beruhigten
sich etwas. Trotz ihrer Trauer hielt Erna Treppmann sich aufrecht,
während sie langsam davonschritt. Einige folgten ihr und ihrem
Mann, andere zogen es vor, möglichst schnell in ihre eigenen
warmen Häuser zurückzukehren, argwöhnisch
beäugt von den Vertretern der französischen
Besatzungsmacht.
    Kurze Zeit später
standen die Polizisten und die Soldaten allein vor der
Ruine.
    »Die Kleine
wurde erwürgt«, berichtete der Beamte, der die Leiche im
Keller in Augenschein genommen hatte.
    »Hiermit?«, fragte der
andere und hielt ihm das Koppel entgegen.
    »Könnte
sein. Wo hast du das her?«
    »Zwei
Männer haben es mit dem Schal der Toten in dem Graben dort
gefunden.«
    »Interessant.«
    Mit deutlichem Akzent,
aber gut verständlich sagte der französische Offizier:
»Die Gegenstände sind beschlagnahmt. Händigen Sie
sie mir aus.«
    »Das ist ein
Mordfall«, antwortete der jüngere Polizist.
»Dafür ist die deutsche Polizei
zuständig.«
    »Jetzt nicht
mehr«, stellte der Franzose fest. »Wofür Sie
zuständig sind, bestimmen wir. Also?« Fordernd streckte
er seine Hand aus. »Außerdem ist das tatsächlich
ein Koppel unserer Soldaten. Damit ist diese Sache automatisch ein
Fall für unsere Militärgerichtsbarkeit.
Allez!«
    Zögernd
übergaben die Polizisten dem Franzosen Schal und
Gürtel.
    »Danke. Sie
können jetzt gehen. Meine Männer werden hierbleiben und
den Tatort bewachen. Wir kümmern uns um alles
Weitere.«

4
    Donnerstag, 1. Februar
1923
    Der hochgewachsene
Mann mit dem dunklen, vollen Haar betrat das Restaurant, löste
seinen Schal und machte eine Bewegung, als ob er die Kälte,
die draußen herrschte, abschütteln wollte. Dann
schaute er sich um, musterte misstrauisch die wenigen Gäste,
die an einem der hinteren Tische saßen, und ging zum Tresen.
»Alles klar?«, fragte er leise.
    Der Wirt, der sein
Erscheinen offensichtlich erwartet hatte, nickte. »Alle im
Saal.«
    Wilfried Saborski
machte eine Kopfbewegung in Richtung der Tische. »Und wer
sind die zwei Kerle da? Ich habe sie noch nie hier
gesehen.«
    »Vertreter,
glaube ich. Aus Münster.«
    »Sicher?«
    Der Wirt hob nur die
Schultern.
    »Behalte sie im
Auge.«
    »Keine
Sorge.«
    Saborski verließ
den Schankraum durch einen schmalen Flur, der auch zu den Toiletten
und dem Hintereingang führte, und öffnete dann die
Schiebetür zum Saal.
    Für einen Moment
blieb er in der Tür stehen und wartete, bis auch der letzte
der knapp ein Dutzend Männer sein Kommen bemerkt hatte. Dann
erst schloss er die Tür und grüßte:
»Glück auf.«
    Die Wartenden
erwiderten seinen Gruß. Wilfried Saborski zog seinen Mantel
aus, warf ihn über eine Stuhllehne und setzte sich.
    Der Saal des
Restaurants Karl der Große an der Bruchstraße wurde
für Familienfeiern und als Versammlungsraum genutzt, jeden
ersten Dienstag im Monat traf sich hier der Ortsverein der
Sozialdemokratischen Partei. An jedem zweiten Mittwoch diskutierten
die Kommunisten ihre Taktik, alle drei Wochen führte das
katholische Zentrum seine Sitzungen hier durch. Und
vierzehntägig schmetterte der Mannergesangverein Harmonie in
dem Saal seine Lieder. 
    Einfache
Holzstühle und -tische, die je nach Bedarf gestellt werden
konnten, bildeten die Einrichtung. Von der Decke baumelten farbige
Girlanden, an denen lange Staubfäden hingen, Überbleibsel
der letzten oder auch vorletzten Karnevalsfeier. An der Stirnwand
gähnte ein zwar vergilbtes, aber im Vergleich zur übrigen
Tapete deutlich helleres Rechteck. Von dieser Stelle aus hatte noch
vor einigen Jahren der letzte deutsche Kaiser mit strengem Blick
auf seine Untertanen herabgeschaut. Nach der Novemberrevolution
1918 war es dem damaligen Besitzer des Restaurants ratsamer
erschienen, sich von Kaiser und Monarchie zu distanzieren. So war
Wilhelm in den Keller gewandert und wartete dort, sorgsam verpackt,
auf das Ende der Weimarer
Republik.      
    Für den heutigen
Donnerstag hatte eine Gruppe den Raum reserviert, die sich der
gemeinsamen Lektüre von Gottes Wort verschrieben hatte. Aber
obwohl vor jedem der Männer an dem langen Tisch eine Bibel
lag, ging es in den Gesprächen um andere Themen.
    »Haltet euch
daran: keine Einzelaktionen!« Wilfried Saborski war
aufgestanden, um seinen Worten mehr Nachdruck zu
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