Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan
Autoren: Freihheit
Vom Netzwerk:
Auseinandersetzung letztlich um nichts anderes als seine
Autorität ging, kriege ich es hin, alles, was er vielleicht an Positivem erreicht
hat, wieder zunichtezumachen.»
    Der andere
Mensch, der Joey über die
Maßen liebte, war das Monaghan-Mädchen, Connie. Sie war
eine ernste und schweigsame kleine Person, die einen irritierend ungerührt
ansehen konnte, so als hätte man nichts mit ihr gemeinsam. Sie gehörte zum
festen nachmittäglichen Inventar von Pattys Küche, wo
sie hart daran arbeitete, Keksteig zu geometrisch vollkommenen Kugeln zu
formen, bis die Butter flüssig wurde und den Teig dunkel glänzen ließ. In der
Zeit, die sie für eine Kugel brauchte, formte Patty elf, und wenn sie alle aus
dem Ofen kamen, versäumte Patty es nie, Connie zu fragen,
ob sie den einen «wirklich perfekt gelungenen» (kleineren, flacheren, härteren)
Keks essen dürfe. Jessica, die ein Jahr älter war als Connie, schien nichts dagegen zu haben, die Küche dem Nachbarsmädchen zu
überlassen, während sie Bücher las oder sich mit ihren Terrarien beschäftigte.
Für einen so vielseitigen Menschen wie sie stellte Connie keine Bedrohung dar. Connie wusste
nichts von Ganzheit - hatte nur Tiefe, keine Breite. Wenn sie Bilder ausmalte,
verlor sie sich darin, eine oder zwei Flächen mit einem einzigen Filzstift zu
tränken, ließ den Rest weiß und überhörte Pattys Ermunterungen, doch auch einmal andere Farben auszuprobieren.
    Connies ausgeprägte Fixierung auf Joey war für
jede Mutter aus dem Viertel schon früh offensichtlich, außer für Patty, so
schien es, was vielleicht daran lag, dass sie selbst so auf ihn fixiert war. In
Linwood Park, wo Patty manchmal Sportveranstaltungen für die Kinder
organisierte, saß Connie allein auf
dem Rasen, flocht Kleeblumenkränze für niemanden und ließ die Minuten an sich
vorüberrinnen, bis Joey zum
Baseballabschlag ging oder mit dem Fußball über das Feld dribbelte und ihr
Interesse einen Moment lang auf sich zog. Sie hatte etwas von einer
Phantasiefreundin an sich, die eben sichtbar war. Dank seiner frühreifen
Selbstbeherrschung hatte Joey es selten
nötig, vor seinen Freunden gemein zu ihr zu sein, und sobald sich abzeichnete,
dass die Jungs einfach mal unter sich sein wollten, war Connie wiederum klug genug, das Feld zu räumen und sich ohne Vorwurf oder
Theater in Luft aufzulösen. Es gab ja immer noch den nächsten Tag. Lange Zeit
hatte es außerdem immer noch Patty gegeben, auf Knien in ihren Gemüsebeeten
oder im bekleckerten Wollhemd auf der Leiter, wo sie sich der Sisyphosarbeit
widmete, den viktorianischen Anstrich in Schuss zu halten. Wenn Connie nicht bei Joey sein
konnte, wollte sie ihm wenigstens nützlich sein, indem sie seiner Mutter
Gesellschaft leistete, solange er nicht da war. «Wie sieht's mit deinen
Hausaufgaben aus?», fragte Patty dann von der Leiter herab. «Brauchst du
Hilfe?»
    «Meine
Mutter hilft mir, wenn sie nach Hause kommt.»
    «Sie wird
müde sein, so spät, wie es dann ist. Du könntest sie überraschen und dich jetzt
gleich dransetzen. Willst du das nicht machen?»
    «Nein, ich
warte lieber.»
    Wann genau Connie und Joey zu vögeln anfingen, war nicht bekannt. Seth Paulsen behauptete gern - ohne jeden Beweis, nur um die Leute aus der Fassung
zu bringen -, Joey sei elf
gewesen und Connie zwölf.
Seine Vermutung gründete auf den Rückzugsmöglichkeiten, die das Baumhaus bot,
das Joey sich mit Walters Hilfe in einem
alten Holzapfelbaum auf dem freien Grundstück gebaut hatte. Als Joeys achtes Schuljahr vorbei war, fiel in den Antworten der Nachbarsjungen
auf die bemüht beiläufigen elterlichen Fragen nach dem Sexualverhalten ihrer
Schulfreunde immer häufiger sein Name, und später sah es so aus, als habe
Jessica gegen Ende desselben Sommers etwas gemerkt - ohne zu sagen, warum,
begegnete sie sowohl Connie wie ihrem
Bruder plötzlich mit schneidender Verachtung. Aber niemand sah die beiden
tatsächlich je zu zweit, bis sie im darauffolgenden Winter anfingen, gemeinsame
Geschäfte zu machen.
    Nach Pattys Auffassung hatte Joey aus seinen
ständigen Streitereien mit Walter die Lehre gezogen, dass Kinder Eltern
deshalb gehorchen müssten, weil Eltern im Besitz des Geldes seien. Daraus wurde
ein weiteres Beispiel für seine Außergewöhnlichkeit: Während die anderen Mütter
das Anspruchsdenken beklagten, mit dem ihre Kinder Geld einforderten,
karikierte Patty lachend den Verdruss, den es Joey bereitete, Walter um finanzielle Unterstützung zu bitten.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher