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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Autoren: Mary Shelley
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abschlagen könne. Wir
seien vom Eis umschlossen und würden ja wohl nie wieder frei
werden. Aber sie fürchteten, daß ich, wenn wider Erwarten dieser
Fall eintreten sollte, kühn genug wäre, noch weiter nach Norden
vorzudringen und sie in neue Gefahren brächte. Sie verlangten
deshalb, daß ich ihnen das feierliche Versprechen gebe, meinen Kurs
südwärts zu richten, wenn ein gütiges Schicksal uns aus diesen
Eismassen befreite.
    Diese Worte verwirrten mich. Ich hatte die Hoffnung noch lange
nicht aufgegeben; auch hatte ich nie daran gedacht umzukehren, wenn
ich wieder freies Fahrwasser hätte. Aber konnte ich es wagen, mich
der Forderung meiner Leute zu widersetzen? Ich zögerte noch zu
antworten, da erhob sich Frankenstein, der bisher teilnahmslos
dagelegen hatte, im Bett. Seine Augen funkelten und über seine
Wangen huschte ein flüchtiges Rot. Zu den Mannschaften gewendet,
sagte er:
    »Was wollt ihr hier? Was verlangt ihr von eurem Kapitän? Seid
ihr so wankelmütig? Und das nennt ihr dann eine ruhmreiche
Expedition? Und warum war sie ruhmreich? Nicht weil ihr ruhig und
friedlich in einem stillen Meere gekreuzt habt, sondern weil sie
gefahrvoll und schrecklich war; weil bei jedem neuen Hindernis euer
Mut gestiegen ist; weil Not und Tod euch umgaben, denen ihr wacker
die Stirn geboten habt. Das ist ein ruhmreiches, ein lobenswertes
Unternehmen. Man wird euch preisen als Helden und wird euch
verehren, weil ihr zum Nutzen der Menschheit die Ehre dem Tode
abgerungen habt. Und nun, bei der ersten ernstlichen Gefahr, bei
der ersten Prüfung eures Mutes wollt ihr verzagen und schämt euch
nicht als Leute zurückzukehren, die nicht Kraft genug hatten, der
Kälte und der Gefahr zu trotzen. Arme,
ängstliche Seelen seid ihr, die am liebsten hinter dem warmen Ofen
hocken. Dazu hätte es nicht dieser Vorbereitungen bedurft; Schurken
seid ihr, wenn ihr euren Kapitän zwingen wollt, unverrichteter
Dinge umzukehren. Ich bitte euch, seid doch Männer, stark und
unbezwinglich wie Felsen, und bleibt eurem Vorsatze getreu. Dieses
Eis ist nicht so fest wie euer Wille und kann euch nicht
widerstehen, wenn ihr nur ernstlich wollt. Kehrt nicht zu euren
Familien zurück mit der Schande beladen. Kehrt zurück als Helden,
die gekämpft und gesiegt und die niemals dem Feinde den Rücken
gekehrt haben.«
    Er sprach dies so ausdrucksvoll und begeistert, daß die Leute
schwankend wurden. Sie sahen einander an und wußten nicht, was sie
antworten sollten. Dann ergriff ich das Wort. Ich befahl ihnen,
sich zurückzuziehen und sich die Sache zu überlegen. Ich versprach
ihnen, nicht weiter nach Norden vorzudringen, wenn sie darauf
bestünden; aber ich hoffe, daß nach einigem Nachdenken auch ihr
bewährter Mut zurückkehren werde.
    Sie gingen und ich wandte mich zu meinem Kranken; aber dieser
war ohnmächtig.
    Wie das alles enden soll, weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß
ich lieber stürbe, als schmählich den Rückzug anzutreten, ohne
meine Aufgabe erfüllt zu haben. Aber ich fürchte beinahe, daß es
doch so wird kommen müssen. Die Leute, denen die hohen Begriffe von
Ruhm und Ehre mangeln, werden sich kaum freiwillig dazu
entschließen, neue Mühen und Gefahren auf sich zu nehmen.

7. September
17..
    Der Würfel ist gefallen. Ich habe versprochen umzukehren, wenn
wir nicht zu Grunde gehen. So sind also meine schönsten Hoffnungen
der Schurkerei und Verzagtheit zum Opfer geworden. Ich trete
unwissend und enttäuscht die Heimfahrt an. Es bedarf größerer
Resignation, als ich sie besitze, um diese Ungerechtigkeit des
Schicksals gefaßt zu ertragen.

12. September
17..
    Alles ist vorbei! Ich bin auf der Heimkehr nach England. Ich
habe meine Hoffnungen auf Ruhm und Ehren begraben und habe meinen
Freund verloren. Aber ich will Dir noch schildern, wie das letztere
kam; und da mich die Winde wieder der Heimat zutragen und ich Dich
bald in meine Arme schließen werde, will ich nicht verzweifeln.
    Am 9. September begann sich das Eis zu bewegen. Es hörte sich an
wie fernes Donnern, als die mächtigen Schollen allenthalben
barsten. Die Gefahr war groß. Da wir uns doch nur passiv verhalten
konnten, widmete ich mich ganz meinem kranken Gaste, der sichtlich
dahinschwand und nicht mehr imstande war das Bett zu verlassen. Das
Eis krachte auf allen Seiten und wurde mit unwiderstehlicher Gewalt
nordwärts getrieben. Eine Westbrise machte sich auf und am 11. war
die Passage nach Süden frei. Als die Matrosen dies bemerkten und
wußten, daß nun der
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