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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Autoren: Mary Shelley
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Stunde
später versuchte er noch einmal zu sprechen, aber es war unmöglich.
Er drückte mir noch zärtlich die Hand und dann schlossen sich seine
Augen für immer, während ein sanftes Lächeln über sein Gesicht
huschte.
    Margarete, wie soll ich Dir schildern, was ich fühlte, als
dieses Leben erlosch? Wie kann ich Dir die Tiefe meines Grames
begreiflich machen? Die Sprache ist zu arm dazu. Meine Tränen
fließen und mein Gemüt ist bedrückt von Trauer. Aber der Gedanke
tröstet mich, daß mein Kiel heimwärts zeigt.
    Ich werde unterbrochen. Was bedeutet der Lärm? Es ist
Mitternacht; eine leise Brise kräuselt die Wellen und reglos steht
der Posten auf Deck. Dann eine menschliche Stimme, aber viel rauher
als eine solche. Sie dringt aus der Kajüte, in der Frankensteins
Irdisches ruht. Ich muß hinauf und sehen, was los ist.
    Großer Gott! Welcher Anblick bot sich mir. Es
schaudert mich, wenn ich daran denke. Ich
werde es Dir vielleicht gar nicht schildern können, aber die
Geschichte wäre unvollständig, wollte ich Dir die seltsame
Schlußkatastrophe vorenthalten.
    Ich eilte in die Kajüte, wo mein armer Freund von seinem
Erdenleid ausruhte. Über ihn gebeugt eine Gestalt! – Worte, sie zu
beschreiben, finde ich nicht. Sie war gigantisch, aber
mißgestaltet. Über sein Gesicht hing langes, verwirrtes Haar; eine
Hand hielt er gegen mich ausgestreckt, und diese war braun und
runzelig wie die einer Mumie. Und dann sprang er schreiend zum
Kajütenfenster. Niemals noch habe ich etwas auch nur Ähnliches an
grauenhafter, widerlicher Scheußlichkeit gesehen, wie dieses
Antlitz. Ich schloß unwillkürlich die Augen und besann mich, wie
ich dem Ungeheuer am raschesten den Garaus machen könnte. Ich
befahl ihm, stehen zu bleiben.
    Er sah mich erstaunt an, dann wendete er sich, scheinbar ohne
weiter von mir Notiz zu nehmen, dem Leichnam zu, und seine Züge und
Gesten trugen den Ausdruck wildester Leidenschaft.
    »Auch du bist mir zum Opfer gefallen!« schrie er. »Und mit
deinem Tode ist die Reihe meiner Greueltaten zu Ende; ich habe
meine grausige Aufgabe erfüllt. O Frankenstein, du edles,
hingebendes Geschöpf! Was hilft es, daß ich dich jetzt um
Verzeihung bitte? Ich, der dich unerbittlich zu Grunde richtete,
indem ich dir alles nahm, was dir ans Herz gewachsen war. Leider
bist du nun tot und kannst mir nicht mehr antworten.«
    Seine Stimme erstickte in Schluchzen, und meine anfängliche
Absicht, den Wunsch meines sterbenden Freundes zu erfüllen, wich
einem seltsamen Gefühl von Neugierde und Mitleid. Ich näherte mich
dem Unglücklichen, aber ich wagte es nicht ihn anzusehen, so sehr
hatte mich sein erster Anblick bestürzt und entsetzt. Ich versuchte
zu sprechen, aber die Worte wollten mir nicht über die Lippen.
Unterdessen erging sich der Dämon in schrecklichen, wilden
Selbstvorwürfen. Schließlich aber zwang ich mich doch, ihn
anzureden: »Eure Reue kommt zu spät! Hättet Ihr früher auf die
Stimme des Gewissens gehört, statt in sinnloser, blutiger Rache zu schwelgen, dann wäre Frankenstein
heute noch unter den Lebenden.«
    »Bilden Sie sich ein, glauben Sie wirklich,« erwiderte das
Ungeheuer, »daß ich nicht besseren Regungen zugänglich war? Er,«
dabei deutete es auf den Toten, »er litt nicht so viel wie ich,
nicht den zehntausendsten Teil davon. Aber es drängte mich
unaufhaltsam vorwärts auf der eingeschlagenen Bahn, trotzdem mich
die Gewissensbisse unsäglich peinigten. Glauben Sie, daß mir das
Geröchel Clervals Musik war? Mein Herz war geschaffen für Liebe und
Mitleid und es litt schwer darunter, daß ich von einem grausamen
Schicksal dazu verdammt ward, meinen Weg durch Blut und Tränen zu
gehen.«
    »Nach dem Tode Clervals kehrte ich in die Schweiz zurück,
gebrochen und elend. Ich bemitleidete Frankenstein, und dieses
Mitleid wurde zum Entsetzen, zum Entsetzen über mich selbst. Aber
als ich bemerkte, daß er, der Urheber meines Lebens und damit
meiner unbeschreiblichen Leiden, es wagte, an Erdenglück zu denken;
daß er, der Schmerz und Verzweiflung über mich gebracht hatte, nun
daran ging, Liebe und Seligkeiten zu genießen, die mir auf ewig
versagt waren, da ergriff mich von neuem grimmiger Haß und
brennender Rachedurst. Ich erinnerte mich meiner Drohung und
beschloß, sie auch wahr zu machen. Ich wußte, daß ich mir selbst
wieder neue Qualen schuf; aber ich war der Sklave meiner
Leidenschaft, die ich selbst verabscheute, der ich aber gehorchen
mußte. Wie, wenn sie stürbe, dann
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