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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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Gefolge der industriellen Revolution einen schnellen Reifeprozeß durchmachte, ein Echo gefunden. In den Anklagereden des Monsters hallt unüberhörbar der Schrei der Verzweiflung und Empörung der hungernden und geknechteten, von den Segnungen der Zivilisation und jeglicher Entwicklung ihrer Individualität ausgeschlossenen Massen des Volkes. Dadurch wird freilich weder die Geschichte zum sozial-utopischen Tendenzroman noch das Monster zum Symbol des modernen Proletariats.
    Frankenstein ist kein sozial-utopischer, wohl aber ein wissenschaftlich-utopischer Roman. Mary Shelleys Buch ist die erste der modernen Scientific Romances, heute Science-fiction genannt, und steht damit am Beginn der Entwicklung eines Genres, das Anfang unseres Jahrhunderts im Werk von H. G. Wells kulminierte und in den letzten Jahrzehnten zu einem Strom ohne Ufer geworden ist.
    Das 18. Jahrhundert, »dieses aufgeklärte und wissenschaftliche Zeitalter«, erlebte einen gewaltigen Sprung in der Entwicklung der Naturwissenschaften und sah mit der konsequenten Hinwendung zur exakten und experimentellen Forschung und den daraus resultierenden spektakulären Fortschritten in der Physik, Chemie, Biologie und in anderen Disziplinen das Ende der mystisch-spekulativen Naturphilosophie, für die im Frankenstein die Namen Albertus Magnus, Cornelius Agrippa und Paracelsus stehen. Im Kreis um Shelley, während seiner Zeit in Eton und Oxford selbst ein begeisterter Experimentator, der kein Risiko scheute, dürften diese Fortschritte nicht selten leidenschaftlich diskutiert worden sein. Erasmus Darwin, von dem ja Shelley zufolge der Gedanke von der Möglichkeit der Belebung toten organischen Stoffes herrührt, der Verfasser der großen naturwissenschaftlichen Lehrgedichte The Botanic Garden und The Temple of Nature, wurde nicht nur von Shelley, sondern auch von anderen großen Romantikern hochverehrt, und sie alle schulden ihm viele Ideen.
    Der makabre Akt der Schöpfung nach Frankensteins Entdeckung des Geheimnisses der Zeugung und des Lebens, über die uns die Verfasserin mit dem plausibelsten aller Gründe im unklaren läßt, hat jedenfalls die wichtigsten Errungenschaften der Naturwissenschaften vor allem im letzten Drittel des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die freilich meist nur vage angedeutet werden, zur Voraussetzung: die Fortschritte in der Erforschung des Blutkreislaufs ebenso wie die Isolierung des Sauerstoffs in den Experimenten Lavoisiers, mit denen die alte Phlogistontheorie zu Grabe getragen und die moderne Chemie geboren wird; die Entwicklungen in der Physiologie, der pathologischen Anatomie und natürlich auch in der Chirurgie, die am Ende des Jahrhunderts eine unerwartete Blüte erfährt und zu einer respektablen wissenschaftlichen Höhe reift, und schließlich die im gegebenen Zusammenhang bedeutendste von allen – die Entdeckung des elektrischen Stroms, der Zusammenhänge zwischen Elektrizität und Magnetismus, Stoff und chemischer Reaktion in den Experimenten vor allem Galvanis und Voltas: Der moderne Prometheus bittet nicht die Göttin der Weisheit Athene, seinem kunstvoll aus Leichenteilen gefertigten Körper den göttlichen Atem einzuhauchen, sondern erweckt ihn zum Leben, indem er durch die toten Glieder und Organe elektrischen Strom fließen läßt.
    Der heutige Leser, der durch die raffinierte, auf gründlicher Sachkenntnis beruhende phantastische Extrapolation wissenschaftlich-technischer Sachverhalte in den bedeutenden Werken der Science-fiction verwöhnt ist, mag die Idee und ihre Durchführung für allzu krude halten und sie nachsichtig belächeln. Vielleicht aber beschleicht ihn angesichts der sich gegenwärtig vollziehenden Revolution in der Molekularbiologie, der Entschlüsselung des genetischen Codes und der sich abzeichnenden Möglichkeit der massenhaften Genmanipulation zugleich ein Gefühl beklemmender Aktualität, wenn er von Frankensteins Vision liest: »Das Leben wie der Tod, sie scheinen mir nur noch eingebildete Schranken zu sein, welche ich als erster durchbrechen würde, um danach wahre Kaskaden von Licht über unsere Welt der Finsternis auszugießen! Eine neue Rasse würde mich als ihren Schöpfer, als den Ursprung ihres Daseins segnen. Zahllose glückliche und vortreffliche Geschöpfe würden mir ihr Leben verdanken.« Das unselige, unglückliche Geschöpf, dem er das Leben gibt, ist ein Etwas, »wie es nicht einmal ein Dante hätte aussinnen können«. Haben heute nicht schon ernsthafte
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