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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)
Autoren: Louise Jacobs
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auszuzählen und mich so lange aussuchen zu lassen, bis es nicht mehr reichte. Aus all den bunten Kisten, voll mit sauren Schlangen, Katzenzungen, Colaflaschen, Lakritzen, Bonbons und Karamellstangen nahm ich mir, bis sie »stopp« sagte, und ging glücklich weiter meinen Weg. Die Beträge von fünf Rappen, fünfzehn Rappen, zwanzig Rappen und zehn Rappen zusammenzuzählen, hätte mich den ganzen Nachmittag gekostet.
    Dann: Nach zweiundzwanzig Therapiesitzungen zeigte ich eine bisher noch nicht da gewesene Lockerheit beim Rechnen. Alle waren, was meine Weiterentwicklung betraf, zuversichtlich, und ich durfte in die dritte Klasse.

7
    Na ch der dritten Klasse kam der Übertritt in die vierte Klasse. Frau Godenschweig behandelte mich nach wie vor. Doch um mich vor der drohenden Wiederholung der dritten Klasse zu bewahren, leiteten meine Eltern eine weitere Maßnahme ein. Sie meldeten mich zum Horchtraining an. Jeden Mittwochnachmittag saß ich von nun an zweieinviertel Stunden lang bei einer gewissen Frau Hoffmann in einem Souterrain, während meine Mutter im Warteraum Fotoalben klebte. Mir wurde ein Kopfhörer aufgesetzt, aus dem Klassik oder Softpop ohne Gesang klang. Dazu durfte ich malen. Immerhin!
    Nach drei Einheiten Therapie, die insgesamt drei Monate dauerte, erfolgte das Gespräch mit den Eltern und dem Kind. Ich kann mich erinnern, dass wir an einem großen weißen Tisch saßen in einem vakuumierten Raum ohne Geräusch und mit wenig Sauerstoff. Meine Mutter, mein Vater, Frau Hoffmann – die Erfinderin des Horchtrainings. Ach ja, und ich – Louise. Diese Louise aus »Schwächen«, »Therapien«, »Therapieverläufen«, »Maßnahmen« und »Schwierigkeiten«. Meine Mutter wagte es endlich, Frau Hoffmann ihren Eindruck zu schildern. Sie war vielleicht die erste Mutter, die sich traute, dieser Frau offen zu gestehen, dass ich durch das Horchtraining keine sichtbaren Fortschritte mache und sie sich überlegen würde, die Therapie abzubrechen.
    »Abbrechen!?« Frau Hoffmann bewegte sich in ihren fischhautähnlich schimmernden Tüchern, ließ die zahllosen Reifen an ihrem Handgelenk klimpern und legte die alten Hände schließlich auf dem weißen Tisch ab.
    Dann sprach sie die alles entscheidenden Worte: » Ich habe das Gefühl, Herr und Frau Jacobs, dass Sie nicht genug an den Erfolg der Therapie glauben!«
    Das war das Ende dieser Behandlung.

I.A.P.P.
Institut für Audio – Psycho – Phonologie
Tomatis Methode® seit 1978 in Zürich

Ulrike Hoffmann
Wikingstraße 20
8022 Zürich

Zürich, im Dezember

Sehr geehrte Klientin,
Sehr geehrter Klient,

aus Platzgründen senden wir Ihnen anbei die während Ihres Horchtrainings angefertigten Zeichnungen zurück.

Mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für die kommenden Festtage!

I.A.P.P.
U. Hoffmann

    Ich hatte hauptsächlich mit Ölkreide gemalt – farbige Flächen, die ich mit einem Gitter versah. Ich malte Bäume mit abgesägten Stümpfen, nach unten wachsenden Ästen und ohne Blattwerk. Ich malte Dreiecke und Vierecke in Grün und Blau. Die Buchstaben meines Namens schrieb ich zwar richtig herum, aber aus irgendeinem Grund wirken sie so, als seien sie spiegelverkehrt geschrieben.
    Zusätzlich zu Frau Godenschweig und Frau Hoffmann wurde nun Herr Sager hinzugezogen. Er forderte von meinen Eltern, ich müsse meine Aktivitäten neben der Schule einschränken, um meine Leistungen in der Schule zu steigern. Herr Sager war ein Mensch, der weder diabolisch noch mitleidig lachte – er lachte gar nicht. Er ließ mich auf einem Bein mit drei Bällen jonglieren, um meine Konzentration zu schulen, und er verfolgte ein ehrgeiziges Ziel: Jede Therapie muss sich selbst überflüssig machen. Und das innerhalb zeitlicher Gefäße.
    Dann war da Frau Fink. Frau Fink hatte wie auch Frau Godenschweig eine Vorliebe für großen Schmuck. Sie empfing mich im Wohnzimmer ihrer Wohnung, das ganz dezent nach einem ätherischen Öl roch. Überall lag therapeutisches Spielzeug. Nichts war zufällig, alles war zur Analyse eingerichtet. In diesen therapeutischen Welten wurde jedes Ding, nach dem man griff, jedes gesprochene Wort analysiert, das wusste ich irgendwann, deshalb hasste ich es, Sachen anzufassen, und ich sprach kaum. Stumm baute ich Welten in Sandkästen auf und ordnete Figuren an. Diese wurden von Frau Fink fotografiert und analysiert. Wortlos malte ich Bilder von Pferden mit drei Beinen. »Wo ist denn das vierte Bein, Louise? Pferde haben doch vier Beine?« In
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