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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter
Autoren: Isabel Allende
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verwahrt wurden. Jeremy, als Hausherr und Haupt der Familie, war befugt, den Briefwechsel seiner Schwester einzusehen, ihr Tagebuch zu lesen und Zweitschlüssel für ihre Möbel zu verlangen, aber er zeigte keinerlei Neigung, das zu tun. Jeremys und Roses familiäre Beziehung war auf Zuverlässigkeit gegründet, sie hatten wenig gemein außer der gegenseitigen Abhängigkeit, die ihnen bisweilen wie eme geheime Form des Hasses erschien. Jeremy kam für die Lebenshaltung auf, aber er finanzierte weder ihre kapriziösen Einfälle, noch fragte er, woher das Geld dafür stammte, er nahm an, daß John es ihr gab. Rose ihrerseits führte den Haushalt tatkräftig und mit Stil, ihre Buchführung war stets in Ordnung, und sie belästigte ihn nicht mit läppischen Kleinigkeiten. Sie besaß einen guten, sicheren Geschmack, brachte Glanz in ihrer beider Leben und widerlegte mit ihrer Gegenwart den in jenen Ländern weit verbreiteten Glauben, daß einem Mann ohne Familie nicht zu trauen sei.
    »Die Natur des Mannes ist roh und ungesittet; die Bestimmung der Frau ist es, die moralischen Werte zu bewahren und auf den guten Lebenswandel zu achten«, behauptete Jeremy.
    »Ach Bruder! Du und ich, wir wissen doch, daß meine Natur ungesitteter ist als deine«, spöttelte Rose.
    Jacob Todd, ein gewinnender Rotschopf mit der schönsten Predigerstimme, die man in diesen Breiten je gehört hatte, ging 1843 in Valparaíso an Land, in seinem Gepäck dreihundert Exemplare der Bibel auf spanisch.
    Niemand wunderte sich über sein Kommen: er war halt ein Missionar mehr unter den vielen, die überall herumwanderten und den protestantischen Glauben predigten. In seinem Fall jedoch war die Reise aus schierer Abenteuerlust geboren und nicht aus religiösem Eifer.
    Mit der nicht unüblichen Großsprecherei des Lebemannes, der zuviel Bier im Leibe hat, wettete er an einem Spieltisch in seinem Londoner Club, er könne Bibeln an jedem Punkt des Planeten verkaufen. Seine Freunde banden ihm die Augen zu, ließen einen Globus kreisen, und sein Finger fiel auf eine Kolonie des spanischen Königreiches, die verloren auf der unteren Hälfte der Erde lag, wo keiner der fröhlichen Zechkumpane menschliches Leben vermutete. Er stellte bald fest, daß der Globus etwas ältlich war, die Kolonie war schon seit über dreißig Jahren unabhängig und war nun die stolze Republik Chile, ein katholisches Land, wo die protestantischen Ideen keinen Eingang fanden, aber die Wette stand, und er war nicht gesonnen, sich zu drücken. Er war Junggeselle ohne zarte oder berufliche Bindungen, und das Verrückte einer solchen Reise zog ihn mächtig an. Bedenkt man die drei Monate für die Hinfahrt und weitere drei Monate für die Rückkehr, immerhin ging es über zwei Ozeane, dann war das ein Plan von langem Atem. Bejubelt von seinen Freunden, die ihm ein tragisches Ende unter den Händen der Papisten jenes unbekannten barbarischen Landes prophezeiten, und mit der finanziellen Unterstützung durch die Bibelgesellschaft Britanniens und des Auslandes, die ihm die Bibeln zur Verfügung stellte und die Passage bezahlte, machte er sich auf die lange Schiffsreise mit Kurs auf Valparaíso.
    Der Wette zufolge mußte er die Bibeln verkaufen und binnen einem Jahr mit unterschriebener Quittung für jede einzelne zurückkommen. In den Archiven der Bibliothek hatte er Briefe von berühmten Männern, von Seeleuten und von Kaufleuten gelesen, die in Chile gewesen waren und über eine Mestizenbevölkerung von wenig mehr als einer Million Seelen berichteten und über eine fremdartige Geographie mit eindrucksvollen Gebirgen, schroffen Küsten, fruchtbaren Tälern, Wäldern mit uralten Bäumen und im ewigen Eis erstarrten Gebieten. Es stand in dem Ruf, in religiösen Dingen das unduldsamste Land des ganzen amerikanischen Kontinents zu sein, wie alle versicherten, die es besucht hatten. Trotzdem hatten fromme Missionare sich berufen gefühlt, den Protestantismus zu verbreiten, und ohne ein Wort Spanisch oder Indiosprache zu können, waren sie bis nach Patagonien gekommen, wo das Festland sich in einen Rosenkranz von Inseln auflöst. Manche starben vor Hunger oder Kälte oder, wie man argwöhnte, aufgefressen von ihren eigenen Glaubensschäfchen. In den Städten hatten sie genausowenig Erfolg. Die Gastfreundschaft, die den Chilenen heilig ist, war stärker als die religiöse Intoleranz, und aus Höflichkeit erlaubten sie ihnen, zu predigen, beachteten sie aber nicht sonderlich. Wenn sie die Vorträge
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