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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter
Autoren: Isabel Allende
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der wenigen Pastoren besuchten, taten sie das mit der gleichen Einstellung, mit der sie zu einem beliebigen Spektakel gingen, und waren höchlich belustigt von ihrer Besonderheit, Ketzer zu sein. Aber nichts von alldem konnte Jacob Todd entmutigen, denn er kam ja nicht als Missionar, sondern als Bibelverkäufer.
    In den Archiven der Bibliothek erfuhr er, daß Chile seit seiner Unabhängigkeitserklärung 1810 den Einwanderern die Tore geöffnet hatte, und sie kamen zu Hunderten und ließen sich in dem schmalen Land nieder, das in seiner ganzen Länge vom Pazifischen Ozean bespült wird. Die Engländer machten schnell ihr Glück als Handelsleute und Schiffsausrüster; viele brachten ihre Familien mit und blieben. Sie bildeten eine kleine Nation innerhalb des Staates mit ihren Bräuchen, Gottesdiensten, Zeitungen, Clubs, Schulen und Krankenhäusern, aber sie taten es mit so viel Anstand, daß sie, weit davon entfernt, Mißtrauen zu erregen, als Muster an Höflichkeit und Bildung angesehen wurden. Sie machten Valparaíso zu einem ihrer Stützpunkte, um den Überseehandel auf dem Pazifik zu kontrollieren, und so wurde aus einem in den Anfängen der Republik ärmlichen Häuserhaufen ohne Zukunft in weniger als zwanzig Jahren ein wichtiger Hafen, den die Segelschiffe anliefen, die um das Kap Horn herum aus dem Atlantik kamen, und später die Dampfschiffe, die durch die enge Magalhaesstraße fuhren. Valparaíso war das Handelszentrum des Pazifiks, in seinen Lagerhäusern waren Metalle, Wolle vom Schaf oder vom Alpaka, Getreide und Leder für die Märkte der Welt gespeichert.
    So war es jedesmal eine Überraschung für den müden Reisenden, wenn Valparaíso in Sicht kam. Da lagen über hundert Schiffe mit Flaggen aus der halben Welt im Hafen. Die Berge mit den verschneiten Gipfeln schienen so nah, als stiegen sie geradewegs aus einem tintenblauen Meer auf, dem ein Duft nach Sirenen zu entströmen schien. Daß unter diesem Schein von tiefem Frieden eine ganze Stadt voller versunkener spanischer Segelschiffe lag und Skelette von Patrioten, die von den Soldaten des Statthalters mit Felssteinen an den Fußknöcheln ertränkt worden waren - Jacob Todd wollte es nicht wahrhaben.
    Das Schiff ging in der Bucht vor Anker, zwischen Tausenden von Möwen, die mit ihren kraftvollen Flügeln und ihren hungrigen Schreien die Luft aufwirbelten.
    Fischerkähne tanzten auf den Wellen, einige mit riesigen noch lebenden Meeraalen und Seebarschen beladen, die an der Luft verzweifelt zappelten. Mehrere Boote beförderten die Passagiere und die Fracht des Seglers an Land. Als er zwischen Seeleuten, Stauern, Mitreisenden, Eseln und Schubkarren auf den Kai stieg, war er in einer Stadt angekommen, die, von steilen Hügeln wie ein Amphitheater umschlossen, ebenso dicht bevölkert und schmutzig war wie viele namhafte europäische Städte auch. Architektonisch jedoch kam sie ihm vor wie selbstmörderischer Schwachsinn mit ihren Häusern aus Luftziegeln und Holz in den viel zu engen Straßen - der kleinste Brand konnte sie in wenigen Stunden in Asche verwandeln. Eine von zwei geschundenen Pferden gezogene Kutsche brachte ihn und die Koffer und Kisten seines Gepäcks zum Hotel Inglés. Er fuhr vorbei an Gebäuden, die sehr hübsch um einen Platz herum gebaut waren, vorbei an mehreren eher plumpen Kirchen und an einstöckigen Wohnhäusern, die von großen Gärten umgeben waren. Er schätzte die Stadt auf etwa hundert Häuserblocks, aber er sah bald, daß sie den Blick täuschte, sie war ein Labyrinth von Gassen und Passagen. In der Ferne erspähte er ein Fischerviertel mit ärmlichen, dem scharfen Seewind ausgesetzten Hütten, neben denen Netze wie riesige Spinnweben hingen, und dahinter lagen fruchtbare Felder, die mit Gemüse und Obstbäumen bepflanzt waren. Sie begegneten Kutschen, die so modern waren wie die in London, Landauern, Droschken und Kaleschen, auch von zerlumpten Kindern gelenkten Maultiergespannen und von Ochsen gezogenen Karren mitten im Zentrum der Stadt. An den Straßenecken bettelten Mönche und Nonnen zwischen streunenden Hunden und verirrten Hühnern um Almosen für die Armen. Er beobachtete einige Frauen, beladen mit Beuteln und Körben, die Kinder am Rockzipfel, barfuß, aber mit schwarzem Tuch um den Kopf, und er sah viele Männer mit kegelförmigen Hüten müßig auf Türschwellen sitzen oder in Gruppen schwatzen.
    Eine Stunde nachdem er an Land gegangen war, saß Jacob Todd in dem eleganten Salon des Hotel Inglés, rauchte aus
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