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FOOD CRASH

FOOD CRASH

Titel: FOOD CRASH
Autoren: Felix zu Löwenstein
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setzt aber noch etwas anderes voraus, das ich
Ernährungsbildung
nennen würde. Von der früheren Landwirtschaftsministerin der Grünen, Renate Künast, stammt das starke Bonmot, die Deutschen würden das billigste Essen in den teuersten Küchen zubereiten. An dieser Zustandsbeschreibung ist viel dran. Zwar ist der Einbau teurer Küchen allemal besser als das, was mit den Reihenhäusern in England geschieht, in die gar keine Küche, sondern nur noch ein Mikrowellenherd eingebaut wird, mit dem die Bewohner ihre tiefgefrorenen Portionen verzehrfertig machen. Die Küchen müssen aber auch genutzt werden – und nicht nur als Bibliothek für die schicke Kochbuchsammlung. Vielen Menschen fehlt dazu schlicht die Ausbildung.
    Der amerikanische Autor Michael Pollan bescheinigt in seinem wunderbaren Buch »In the defense of food«, das auf Deutsch unter dem etwas umständlichen Titel »Lebens-Mittel: Eine Verteidigung gegen die industrielle Nahrung und den Diätenwahn« vertrieben wird, dem Menschen, das einzige Lebewesen zu sein, das auf Professoren angewiesen ist, um sich ernähren zu können. Er spielt dabei auf die Vielzahl ständig wechselnder ernährungswissenschaftlicher Thesen an, die die Menschen dazu bringen, mal den cholesterinarmen, dann den Omega-3-reichen, dann den gesättigten und dann den ungesättigten Fettsäuren hinterherzurennen. Er empfiehlt, einfach die eigene Mutter zu fragen, was man essen soll, und sich dann an einfache, ursprüngliche Lebensmittel statt an die ganzen nach wissenschaftlichen Prinzipien gebastelten Fertigspeisen zu halten. Das Problem ist: Es wachsen jetzt schon ganze Generationen heran, bei denen auch die Mutter nicht mehr weiß, wie man einfache landwirtschaftliche Rohstoffe zu Speisen macht. Oder welche Früchte zu welchen Jahreszeiten aus unseren einheimischen Gärten kommen und wann sie nur aus irgendeinem entfernten Erdteil stammen können. Oder wie man aus den Resten der Mahlzeiten von Montag bis Mittwoch am Donnerstag etwas köstliches Neues zaubert. Dazu kommt all das, was auch die Mutter oder Großmutter nicht gewusst, allenfalls instinktiv richtig eingeschätzt hätte: Welche Produktionsweisen führen zu welchen Folgen für die Umwelt, für die Menschen in anderen Kontinenten, für die Zukunft der Menschheit – also all das, wovon dieses Buch handelt.
    Solche Dinge zu wissen ist aber wichtig, wenn man Verantwortung für seine Entscheidungen übernehmen will und wenn man mit seinem Einkauf Einfluss ausüben will. Ich gestehe, dass ich Ernährungsbildung und Kochunterricht in Schulen lange Zeit skeptisch gegenübergestanden habe, weil ich Familien und nicht Schulen für zuständig gehalten hätte, solche zur Lebenstüchtigkeit zählenden Kenntnisse zu vermitteln. Mittlerweile ist mir aber klargeworden, dass nur weitergegeben werden kann, was vorhanden ist – und offensichtlich ist in Bezug auf diese Kenntnisse kein Grundstock mehr vorhanden, auf den eine häusliche Pädagogik aufbauen könnte. Es muss also eingefordert werden, dass die Schulen – und zwar in allen Schulformen und Altersklassen – verpflichtet werden, Ernährungslehre zu vermitteln. Das muss nicht und sollte vielleicht auch nicht im Frontalunterricht des Klassenzimmers passieren. Aber was spräche dagegen, für die immer wichtiger werdende Gemeinschaftsverpflegung vom Kindergarten bis in die Abiturklassen Kinder und Schüler in die Essens- und Einkaufsplanung ebenso wie in die Zubereitung der Speisen mit einzubeziehen?
    Ich will nicht missverstanden werden: Ich lebe nicht in dem Glauben, öffentliche Erziehung könne alles geradeziehen, was in einer Gesellschaft schiefläuft. Mir ist bewusst, dass hinter dem Verlust an Ernährungsbildung der Verlust an Esskultur steht. Und hinter dem Verlust an Esskultur der Zerfall von Familien und der Lebenswelten, in denen familiäre Gemeinschaft gelebt werden kann. Hier gegenzusteuern erfordert noch weit mehr als die Einrichtung neuer Lehrfächer. Wie sollte ich von jemand erwarten, sich über die Saisonalität, die Gesundheitsförderlichkeit oder gar die globalen Auswirkungen seines Essens Gedanken zu machen, wenn er allein oder mit anderen aus Einwegverpackungen frisch aufgetaute Speisen vor der Glotze in sich hineinschaufelt oder seine Mittagspause an Orten verbringt, an denen man ihm verspricht, ihn für 1,49 Euro satt zu kriegen?
    Neben der Schule sind deshalb alle anderen gesellschaftlichen Kräfte – auch die Ökolandbauverbände, in denen ich engagiert
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