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Folge dem weißen Kaninchen

Folge dem weißen Kaninchen

Titel: Folge dem weißen Kaninchen
Autoren: Philipp Hübl
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bemerken wir sie nicht. In den meisten Fällen vermitteln sie uns jedoch verlässliche Einschätzungen unserer Umgebung.

Sind Gefühle angeboren?
    Es geschah in den achtziger Jahren, in einer Zeit, als nur wenige Eingeweihte an Universitäten E-Mails kannten. Weil es gelegentlich zu Missverständnissen kam, schlug der amerikanische Informatiker Scott E. Fahlman in einer Nachricht an seine Kollegen vor, Witze mit Hilfe von drei Zeichen zu markieren: Doppelpunkt, Bindestrich und Klammer. Damit hatte er das elektronische Smiley erfunden, und zwar am 19 . September 1982 , genau um 11.44  Uhr, wie das alte Speicherband belegt. Schon der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov hatte diese Idee. In einem Interview mit der
New York Times
von 1969 schlug er vor, ein typographisches Zeichen für Witze einzuführen. Doch erst Fahlmans Vorschlag setzte sich durch. Seitdem sind die Smileys nicht mehr wegzudenken. Inzwischen kann man mit ihnen dasselbe wie mit einem echten Lachen ausdrücken: Witz, Ironie, Freude, Glück oder einfach nur Freundlichkeit.
    Alle glücklichen Menschen ähneln einander, und alle unglücklichen sehen auf die gleiche Weise unglücklich aus. Darum konnte das Smiley so schnell weltweit Erfolg haben. Unsere Gesichtserkennung ist angeboren, daher blicken schon Babys länger auf Gesichter mit Augen als auf solche ohne. Die Gesichtserkennung funktioniert so gut, dass wir in Wolken, Felswänden und Korktapeten Fratzen und Grimassen entdecken. Wie jedes Kind weiß, brauchen wir beim Zeichnen nur wenig: Punkt, Punkt, Komma, Strich. Auch die emotionalen Gesichtsausdrücke sehen überall auf der Welt gleich aus. Wenn wir lächeln, schmunzeln oder lachen, verändern sich unsere Gesichter nach demselben Muster: Der Jochbeinmuskel zieht die Mundwinkel nach oben, und der Augenringmuskel lässt die Lachfältchen entstehen. Wir können zwar Freude vortäuschen, indem wir absichtlich grinsen, aber ganz gelingt uns das nie, denn der Augenringmuskel ist nicht direkt willentlich steuerbar.
    Menschen freuen sich, wenn ihnen etwas Gutes widerfährt, und strahlen dabei über das ganze Gesicht. Das spricht dafür, dass das Gefühl der Freude angeboren ist und, mit anderen Vorzeichen, auch viele andere, oder vielleicht sogar alle Gefühle. Viele Gegner der Angeborenheitsthese machen den Fehler, «angeboren» mit «unveränderlich» zu verwechseln. Doch das Kriterium ist ein anderes: Eine Fähigkeit oder Eigenschaft kann als angeboren gelten, wenn sie sich
unabhängig
von individueller Prägung entwickelt. Ein guter Beleg ist daher, dass sie bei allen Menschen vorkommt, ein noch besserer, dass sie
nicht erlernbar
ist. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Die Farbwahrnehmung gilt als angeboren. Wir alle sehen die Welt in Farbe, ohne dass uns jemand gezeigt hätte, wie das geht. Ja, wir wüssten nicht einmal, wie man jemandem das Farbsehen beibringen könnte. Das heißt aber nicht, dass nichts dazwischenkommen kann, denn jede Fähigkeit hat eine Grundlage. Ist die Grundlage beschädigt, verliert man auch die Fähigkeit. Menschen können erblinden oder eine Genmutation haben wie die Inselbewohner im südpazifischen Pingelap-Atoll, die die Welt in Schwarzweiß sehen. Aber auch diese Genmutation ist selbstverständlich angeboren.
     
    Wenn Eigenschaften oder Fähigkeiten angeboren sind, muss es Gene geben, die deren Entwicklung steuern. Und wenn sie als komplexe Fähigkeiten im Erbmaterial verwurzelt sind, haben sie sehr wahrscheinlich einmal einen Überlebensvorteil mit sich gebracht. Einige Tiere sichern das Überleben ihrer Spezies durch reichhaltigen Nachwuchs. Auch wenn der Hecht große Happen vom Froschlaich wegfrisst, bleiben immer noch genug Eier übrig, aus denen die Kaulquappen schlüpfen. Die meisten Säugetiere produzieren allerdings nur wenig Nachwuchs. Dafür haben sie viele Verhaltensweisen entwickelt, um ihre Jungen zu schützen. Der Mensch hat von allen Säugern nicht nur eine der längsten möglichen Lebensdauern, sondern auch die höchste durchschnittliche Lebenserwartung. Bei jeder angeborenen Fähigkeit kann man also fragen, welchen Vorteil sie bot, ihren Träger und seinen Nachwuchs zu schützen.
    Doch bevor Wissenschaftler die evolutionären Funktionen von Gefühlen erforschen konnten, mussten sie erst einmal zeigen, dass alle Menschen die gleichen Gefühle kennen. Der amerikanische Psychologe Paul Ekman, einer der wichtigsten Emotionsforscher des letzten Jahrhunderts, wollte Ende der sechziger Jahre
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