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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)
Autoren: Per Leo
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Personen.
    1893 fließen das Grundstück und die Produktionsmittel für den Schiffbau als Löwenanteil in die Gründungsmasse der Bremer Vulkan AG ein.
    Die Stammwerft erweist sich allerdings schnell als zu klein. 1895 zieht der Vulkan darum vom Alten Tief auf die nördliche Seite des Hochufers um, auf das Gelände der Bremer Schiffahrtsgesellschaft, die bereits 1872 ganz auf die Produktion von Eisenschiffen umgestellt hat. Die Hämmer, mit denen die Arbeiter die schweren Niete in dickes Metall treiben, werden von nun an für ein Jahrhundert zum Klangkörper Vegesacks gehören. Als ihre Schläge für Martin Leo, einen Nachfahren Johann Langes, genau wie der morgendliche Gesang des Vaters zu einem Zaubergeräusch seiner Kindheit werden, ist der Vulkan die größte Werft im ganzen Deutschen Reich.
    Siegfried den Hammer wohl schwingen kunnt,
    er schlug den Amboß in den Grund.
    Er schlug, daß weit der Wald erklang
    und alles Eisen in Stücken sprang.
    Und von der letzten Eisenstang
    macht’ er ein Schwert so breit und lang.
    Martins Bruder Heinz wurde später leitender Ingenieur auf dem Vulkan. Unverheiratet und kinderlos wohnte er zeitlebens mit seiner Mutter in dem betürmten Haus am Hochufer. Martin dagegen verließ Vegesack. Er zog nach Sachsen, gründete dort eine Familie – und starb hoch über der Elbe. Doch das Bild der Weser, des Flusses wie des gleichnamigen Schiffs, verließ ihn nie. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Familie sprach er wenig. Die Legende vom »ersten deutschen Dampfschiff« haben seine Kinder viel seltener zu hören bekommen als etwa die Kinder seines in jeder Hinsicht wasserscheuen Bruders Friedrich. Aber wer wollte, konnte in seiner Nähe zum Schiffsliebhaber werden. Sein Enkel S. wollte es. Und er musste sich dazu von Bind, wie er seinen Großvater nannte, keine Vorträge anhören. Es reichte, dass er ihn in die Bibliothek begleitete, wo sie gemeinsam den NVA-Marinekalender studierten. Dass er neben ihm am Fluss stand und dabei wie von selbst die Typen der Schiffe zu bestimmen und ihre Individualität zu schätzen lernte. Dass er die filigranen Modelle zur Hand nahm, die Bind in seiner Kindheit gebaut hatte, und sich fragte, ob er das nicht noch besser könne.
    Mein Großvater war anders als Bind. Und S. ist anders als ich. Aber wir verstehen uns gut.
    An einem bewölkten Sonntag im August 2011 gingen S. und ich auf dem Blauen Wunder über die Elbe. Wir kamen vom Loschwitzer Hafen, wo das kleine Motorboot lag, mit dem wir eine Flussfahrt zur Brühlschen Terrasse unternommen hatten. Es passte gut zu seinem Besitzer. Nicht neu, aber tadellos in Schuss, besaß es das sympathische Flair aller soliden Handwerksarbeit. Seine Planken leuchteten unter dem glänzenden Lack in jenem tiefen, hellen Farbton, der einen Bootsrumpf vertrauenswürdig und zugleich schön macht: einem Braun von so großer Ausdruckskraft, dass man meint, es riechen zu können. Tatsächlich war nur der Dieselmotor zu riechen gewesen. Tucka-tucka-tucka-tucka-tuck – sein Rhythmus klang mir noch in den Ohren, als S. mich aus meinen Gedanken riss.
    »Das nenne ich Glück«, sagte er und zeigte nach links.
    Flussaufwärts näherte sich ein Schiff. Obwohl seine besonderen Merkmale offensichtlich waren, konnte ich mir zunächst keinen Reim darauf machen. Gut möglich, dass ohne meinen Begleiter einer der spektakulärsten Anblicke, den die deutsche Binnenschifffahrt zu bieten hat, an mir vorbeigeglitten wäre. Wie ein Krokodil an einem Blinden.
    »Warum Glück?«, fragte ich.
    S. sah mich verständnislos an. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, wie dumm ich war. Dann aber genügten ihm ein Name und wenige Worte, um mir zu erklären, was wir da sahen: die Diesbar , einen der ganz wenigen noch mit Kohle befeuerten Seitenraddampfer. Niederdruckmaschine und Kofferkessel, Baujahr 1841, waren als weltweit einzige ihrer Art noch in Betrieb. Sieh mal an, das letzte deutsche Dampfschiff,dachte ich. Ein äußerst seltene Begegnung also, das war mir nun klar – aber sie ließ mich kalt. Während S. das sich langsam nähernde Schiff betrachtete, als würde ihm gleich seine lang vermisste Geliebte entsteigen, starrte ich es teilnahmslos, aber mit schlechtem Gewissen an, wie ein Tourist, der vor den Pyramiden von Gizeh Appetit auf Currywurst hat.
    Doch dann traf es mich.
    Das Schiff war jetzt in Hörweite. Es verschwand unter der Brücke und tauchte wieder auf. In meinen Ohren hallte noch immer die Erinnerung an das kleine Motorboot
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