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Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)

Titel: Flut und Boden: Roman einer Familie (German Edition)
Autoren: Per Leo
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steht für einen großen Aufbruch.
    Drei Jahrzehnte lang hat Europa im Bann der großen Politik gestanden, hat um Ländergrenzen gekämpft, Regierungsformen ausprobiert und fast alle Reste des Mittelalters beseitigt. Doch nun entfaltet der Kontinent, wie von einem lange aufgestauten Druck befreit, eine nie dagewesene Wirtschaftsdynamik. Eine Epoche des Erfindens, Produzierens, Bauens und Handelns beginnt – für Bremen, dessen Wohl an der Seefahrt hängt, eine große Zeit. Als sie nach etwa 150 Jahren zu Ende geht, bleibt der Stadt nur ein symbolischer Ersatz: die Fußballmannschaft des heute ruhmreich genannten Sportvereins Werder, dessen Stadion auch an einer großen Weserbiegung liegt.
    1965 ist für Bremen ein doppeltes Schlüsseldatum.
    Im selben Jahr, in dem Werder seine erste deutsche Meisterschaft feiert, bezieht die Freie Hansestadt die ersten Millionen aus dem Länderfinanzausgleich. Dieses Verhältnis von Soll und Haben hat sich in den letzten Jahrzehnten so festzementiert, dass Bremen als reicher Stadtstaat ohne Bundesligamannschaft heute kaum mehr vorstellbar ist. Die positive Seite der Bilanz verzeichnet drei weitere Meistertitel, sechs Siege im nationalen Pokalwettbewerb, einen im Europapokal, sieben Teilnahmen in der Champions League, Platz zwei in der Ewigen Tabelle, eine vorbildliche Vereinsführung, hanseatisches Wirtschaftsethos samt hoher Eigenkapitaldecke, und natürlich all die Fußballgötter: Namen von mythischem Klang wie Dieter Burdenski, Thomas Schaaf, Rudi Völler, Rune Bratseth, Andi Herzog, Claudio Pizarro, Johan Micoud, Miro Klose, Naldo, Diego und Mesut Özil. Auf der anderen Seite stehen zweistellige Arbeitslosenquoten, die höchste Pro-Kopf-Verschuldung aller Bundesländer und in der Summe umgerechnet 47 Milliarden Euro innerdeutsche Transferleistungen.
    Am Anfang war Napoleon. Was für die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts im Allgemeinen gilt, das gilt für die Geschichte Bremens im Besonderen. Und auch Johann Langes Geschichte beginnt mit ihm.
    Im Sommer 1805 gründet der junge Schiffbaumeister eine Werft. Der Ort ist gut gewählt. Das Grundstück liegt am sogenannten Alten Tief bei Vegesack, einem Uferplatz in unmittelbarer Nähe des Zusammenflusses von Lesum und Weser. Der Zeitpunkt allerdings hätte schlechter kaum sein können. Nur wenige Wochen später verliert der Vizeadmiral de Villeneuve die Seeschlacht bei Trafalgar, eine historische Niederlage, die Napoleon zu einem Taktikwechsel gegenüber dem Erzfeind bewegt. Statt mit Militärgewalt will er England nun durch eine Wirtschaftsblockade in die Knie zwingen. 1806 formiert sich vor der gesamten kontinentaleuropäischenKüste eine Kette aus französischen Kriegsschiffen, die jeglichen Verkehr mit den britischen Inseln unterbinden soll. Die Hafenstädte Hamburg und Bremen trifft das besonders hart, und für Johann Lange werden seine ersten Jahre als Kaufmann mit Abstand die schwersten. Doch die Kontinentalsperre wirft für ihn einen Ertrag von unschätzbarem Wert ab. Sie lehrt ihn die wichtigsten Tugenden des Unternehmers. Er lernt, sich auf neue Umstände einzustellen. Unter widrigen Umständen zu improvisieren. Fehlende Einnahmen durch Sparsamkeit und Fleiß auszugleichen. Und, besonders wichtig, um den Mut nicht zu verlieren: Pläne für bessere Zeiten zu schmieden.
    Man darf nicht vergessen, dass auch die Unterbindung von Schiffsverkehr eine Nachfrage nach Schiffen erzeugt. Nur kann Johann Lange in seinen Anfangsjahren nicht die Zweimaster bauen, von denen er eigentlich träumt: keine stolzen Briggs und Brigantinen, sondern neben dem einen oder anderen Zollboot vor allem Galioten, Heringsbüsen, Kutter und Schoner – kleine, wendige Schiffe mit Nutzlasten von selten mehr als 50 Tonnen, die sich gut für stürmische Nachtfahrten zur englischen Insel Helgoland eignen. Wirklich bedrohlich wird die Lage erst, als Bremen im Januar 1811 von Frankreich annektiert wird. Der Handel, auch der illegale, kommt nun fast vollständig zum Erliegen, es herrscht ein strenges Polizeiregiment. Außer dem Bau einer mittelgroßen Galiot stehen auf der Werft bis 1814 nur einige Reparaturen zu Buche, zwei davon an französischen Kanonenbooten. Es ist vor allem die Phantasie, die Johann Lange in diesen Jahren vor dem Aufgeben bewahrt. Und niemand beflügelt diese Phantasie mehr als Friedrich Schröder. Der Großkaufmann aus Bremen hat dem jungen Schiffbauer nicht nur das Ufergrundstückfür seine Produktionsstätte verpachtet – er
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