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Flüsterherz

Flüsterherz

Titel: Flüsterherz
Autoren: Debora Zachariasse
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den Vorgarten, in dem drei dicke Perlhühner frei herumliefen. Sie flatterten erschreckt auf, als Tibby ihr Rad hinschmiss.
    Ich stellte meines daneben ab und schaute mich mit großen Augen um. Das alte Haus hatte weiß gekalkte Wände, windschiefe hellblaue Fensterläden und ein überhängendes Dach. Es schien einem Märchenbuch entsprungen und hier auf diesem Teppich aus Wildblumen gelandet zu sein. Neben der Tür war ein Riss in der Wand, vermutlich von dem harten Aufprall.
    So ein Haus hatte ich noch nie gesehen. Und trotzdem fühlte ich mich hier sofort heimisch.
    Ich atmete tief ein und nahm einen herrlich süßen Duft wahr.
    »Was riecht denn hier so gut? Sind das die Blumen da?«, fragte ich und deutete auf den Wasserfall aus gelben Blüten am Eingang. Der Duft war betörend, berauschend, überwältigend.
    »Meinst du das Geißblatt?«, sagte Tibby. »Das ist nur Unkraut.« Sie packte eine lange Ranke, die uns im Weg hing, und schob sie gleichgültig zur Seite. »Komm rein.«
    Ich zögerte, weil ich den zauberhaften Duft noch ein wenig genießen wollte. Es roch nach Freiheit, nach wildem Glück. Warum hatten
wir
so etwas nicht im Garten? Warum pflanzten die Leute Buchsbäume, wenn es doch so herrliche Wuchergewächse gab?
    »Kommst du?«, rief Tibby durchs Küchenfenster.
    In der großen Wohnküche empfing mich ein Sammelsurium ganz anderer Gerüche: Apfelmus, Zimt, Stinkekäse, überreife Bananen, exotische Kräuter und irgendwas Süßliches – Räucherstäbchen vielleicht –, dazu ein Hauch Katzenpisse. Objektiv gesehen nicht wirklich toll, aber da war es bereits zu spät: Ich hatte mein Herz an dieses allerliebste Märchenhaus verloren.
    Der Fußboden war rotbraun gefliest. Am Fenster hingen coole lila Retrogardinen, leicht ausgeblichen, also vermutlich original. In der Spüle schwankte ein Turm aus schmutzigem Geschirr, und in einer Ecke standen neben mehreren verkrusteten Fressnäpfen ein Tisch mit Computer und, unter einem Riesenberg Papier, ein undefinierbares großes Haushaltsgerät mit abgesplittertem Lack, auf das jemand rote, blaue, grüne und gelbe Herzchen gemalt hatte. Der Gasherd war voller Kochspritzer. Darüber hing eine Abzugshaube mit abgebrochenen Schaltern. Die gegenüberliegende Wand mit der Siebzigerjahre-Tapete schmückte ein kunstvoll gestickter Wandteppich und daneben hing eine E-Gitarre, ein ungewöhnlich geformtes Modell mit knallrotem Kabel.
    Die ganze Küche nahm mich mit ausgebreiteten Schmuddelarmen herzlich auf. Und das orangefarbene Sofa in der Ecke wisperte mir leise ein »Willkommen zu Hause!« zu.
    »Was guckst du so?«, fragte Tibby.
    Ich dachte an unsere superordentliche Edelstahl-Designerküche und den Marmorfußboden. »Hier ist es total gemütlich«, sagte ich. »Bei uns …«
    Eine rotbraune Katze kam angelaufen und schmiegte sich an Tibbys Bein.
    »Du hast eine Katze?«, fragte ich dümmlich.
    »Wir haben vier: Whisky, Bacardi, Wodka und Schnaps. Das hier ist Whisky.«
    Whisky umkreiste Tibbys Füße und miaute kläglich.
    »Nicht quengeln, Whis«, sagte Tibby. »Geh und fang eine feine Maus. Höchste Zeit, dass du’s lernst. Futter gibt es erst heut Abend wieder.«
    »Frisst sie Mäuse!? Die armen Tierchen!«
    »Du hattest wohl noch nie ’ne Maus im Brotkasten, was?«, fragte Tibby.
    »Iiieh! Du etwa?«
    »Nein, aber nur, weil Schnaps sie fängt.« Sie lachte. »Bevor wir Schnaps bekamen, haben hier die Mäuse auf dem Tisch getanzt. Whisky kann man dabei vergessen, die mag nur Dosenfutter, stimmt’s, Whis? Ein ganz faules Stück bist du.«
    Tibby nahm Whisky auf den Schoß und knuddelte sie, bis sie einen Kratzer abbekam und die Katze fallen ließ. Sie landete auf allen vieren und stolzierte beleidigt davon.
    »Hast du auch Haustiere?«, fragte Tibby.
    Hatte ich nicht. Ma ekelte sich vor Katzen (besonders in Katzenklo-Hinsicht).
    »Ich hätte am liebsten noch einen Hund«, sagte Tibby. »Einen schwarzen Schäferhund mit schönen Stehohren.«
    Ich zuckte mit den Schultern. Für mich wäre das nichts. Es regnet hier zu oft und nasse Hunde stinken.
    Tibby kramte im Kühlschrank, warf zwei Schälchen verschimmelten Pudding weg und fand ganz unten eine Packung Apfelsaft.
    »Hast du Durst?« Sie inspizierte die Packung. »Der muss schleunigst weg«, sagte sie und goss mir etwas ein, bevor ich ablehnen konnte.
    Ich spielte mit meinem Glas, schob es auf dem Holztisch hin und her. Er hatte in der Mitte eine abgewetzte Stelle voller Kerben.
    »Benutzt ihr den Tisch als
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