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Flüsterherz

Flüsterherz

Titel: Flüsterherz
Autoren: Debora Zachariasse
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herrlich wilden Chaos, ein Zuhause gefunden.

3
    Ich war höchstens anderthalb Stunden bei Tibby gewesen, aber als ich in unser Wohnviertel kam, schien es mir völlig verändert. Alles wirkte mit einem Mal gesichtslos und öde. Die Villen – in einer davon wohnt Eileen – hatten edle Designergärten, penibel gepflasterte Wege und als Höhepunkt eine armselige Konifere auf dem akkurat geschnittenen Rasen. Schön ordentlich und pflegeleicht, aber ohne einen Funken Leben.
    Auch die neuen Doppelhäuser kamen mir auf einmal wie sterile Klone vor. Nirgendwo eine Leine mit fröhlich flatternder Wäsche, denn die kam hier in den Trockner. Gähn.
    Aus unerfindlichen Gründen pflanzten die Leute in ihren Vorgärten alles doppelt. Zwei Buchsbaumkugeln. Zwei Lorbeerbäumchen. Zwei kegelförmige Koniferen. Und überall, aber auch wirklich überall, gab es zwei Einheitsblumenkästen aus dem Gartencenter. Das war mir vorher nie aufgefallen.
    Im Grunde wohnte ich schon mein Leben lang in einer Straße voller Nachahmer. Warum nur hatte ich das bisher nie bemerkt?
    Unser Haus ist ziemlich neu, ein Doppelhaus, wie die meisten anderen. Heller Klinker. Eigentlich hat es mir immer gefallen, weil es schön groß und geräumig ist, eben so, wie ein Haus sein soll. Aber nachdem ich bei Tibby gewesen war, wirkte die Fassade mit einem Mal nichtssagend und der Garten völlig kahl. Alles war so … geleckt.
    Sam war vom Joggen zurück. Er stand total verschwitzt in der Küche und goss sich gerade ein großes Glas Cola ein.
    »Wo kommst du denn her?«, fragte er.
    »Ich war bei Tibby.«
    »Wer soll das sein?«
    »Tibby ist neu in meiner Klasse.«
    Ich wollte Sam erzählen, was mich so froh machte, wie mir zumute gewesen war, als ich die Wohnküche mit der komischen Herzchenwaschmaschine und dem Holztisch gesehen hatte, den sie einfach als Schneidebrett benutzten, wollte dasGlücksgefühl beschreiben, die Katzen und den betörenden Duft des Geißblatts.
    Ich suchte noch nach den richtigen Worten, da sagte Sam: »Viola hat gefragt, wo du bleibst.«
    Oh nein! Die Geigenstunde! Ich griff nach meinem Handy. Zwanzig vor sechs. Jetzt hatte es keinen Sinn mehr hinzugehen.
    »Sie hat bei Pa angerufen, nur damit du’s weißt. Außerdem hast du heute Morgen nicht die Spülmaschine ausgeräumt. Jetzt steht haufenweise schmutziges Geschirr rum.«
    Haufenweise? Gerade mal vier Becher und ein einziger Teller standen auf der makellos weißen Arbeitsplatte aus ewigschön-bleibendem Kunststoff.
    Ich seufzte. Missmutig fing ich an, den Geschirrspüler auszuräumen. Dabei glitt mir versehentlich ein Kaffeebecher aus der Hand und zerbrach auf dem glänzenden Fliesenboden. Ich wurde starr vor Schreck, denn es war Sams Ajax-Amsterdam-Becher mit Autogrammen von den Spielern.
    Wortlos sammelte er die Scherben auf und legte sie auf die Spüle. »Tja, das war mal mein Becher«, sagte er gepresst.
    Es war ihm nicht anzumerken, ob er wütend auf mich war, aber ich fühlte mich total mies. »Sam, es tut mir leid«, flüsterte ich. »Ich … ich kann ihn für dich kleben.«
    Er ließ mich einfach stehen und ging nach oben. Kurz darauf hörte ich die Dusche rauschen.

4
    »Wir haben eine Neue in der Klasse. Sie heißt Tibby«, startete ich beim Abendessen einen zweiten Versuch, von meinem wunderschönen Nachmittag zu erzählen.
    »Tibby?«, sagte Pa. »Klingt schön jazzig: Tib-Tib-Tibby, Lib-Liblib-Libby. Gut, was?«
    Seufz.
    »Ist sie nett? Woher kommt sie?«, fragte Ma.
    »Ich kenne sie noch aus dem Kindergarten. Sie wohnt mit ihren Eltern in einem niedlichen Häuschen am Stadtrand.«
    Ich erwähnte noch kurz die fröhliche Flatterwäsche und den Geißblattduft, dann fiel mir plötzlich nichts mehr ein, weil die anderen mich so ausdruckslos anstarrten. Sie verstanden mich nicht.
    Ich stotterte etwas von wegen Rosen und Katzen und versuchte krampfhaft, die einzigartige Atmosphäre zu beschreiben. Verträumt? Märchenhaft vielleicht? Aber nicht kitschig oder so, ziemlich chaotisch, aber nicht verdreckt, jedenfalls nicht zu sehr, ein behagliches Durcheinander eben … ob sie das verstehen würden?
    Sie warteten. Betont freundlich und höflich, so als würden sie denken: Blödes Gefasel, hoffentlich hört sie bald auf.
    Ich holte tief Luft und beschrieb das Haus im Grünen und den Garten, schnell, bevor das Interesse ganz dahin war, bevor Pa seine albernen Bürowitze zum Besten gab und Ma von der Apotheke zu erzählen anfing, von den schwangeren Assistentinnen und den
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