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Flucht aus Oxford

Titel: Flucht aus Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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bewunderte sich in ihrem schmalen Garderobenspiegel und widmete sich dann der Frage der Fußbekleidung. Am liebsten hätte sie die neuen Schuhe mit den schwindelerregend hohen Absätzen angezogen, die sie erst letzten Samstag gekauft hatte, doch sie war sich nicht sicher, ob sie darin bis zu der Stelle laufen konnte, wo sie ihren Raben treffen sollte. Sie runzelte die Stirn. Warum brachte er es auch nicht fertig, mit seinem großen, schnellen Auto bis vor ihre Haustür zu fahren, die schäbigen Kinder zu verscheuchen und so durchzustarten, dass glänzende schwarze Gummispuren auf dem Asphalt zurückblieben? Er könnte hupen und seine Hi-Fi-Anlage bis zum Anschlag aufdrehen. Die Scheißkerle aufwecken. Alle würden hinschauen und sie endlich bemerken.
    Doch er hatte ihr gesagt, dass so etwas nicht sein Stil sei; zumindest für einige Zeit mussten sie ihre Beziehung noch diskret handhaben. Außerdem fand er, es wäre an der Zeit, dass sie sich solcher kindlichen Fantasien entledigte und einen kultivierteren Lebensstil pflegte. Scheiß auf den kultivierten Lebensstil, hatte sie gemault, warum können wir nicht endlich was von der Knete auf den Kopf hauen, die wir gemacht haben? Aber irgendwie endete es immer damit, dass sie ihrem Raben nachgab. Sie knetete ihr Haar vor der Elektroheizung trocken und hängte sich den blauen Glasflakon um den Hals. Der Anhänger war ihr Glücksbringer, und sie ging nie ohne ihn aus. Eines Tages würde sie ihn durch einen faustgroßen Diamanten ersetzen, aber im Augenblick genügte ihr das Parfümfläschchen. Schließlich entschied sie sich, Blasen zu riskieren und ihre neuen Schuhe doch zu tragen. Sie zog die dicken Socken aus, die sie in der Wohnung statt Hausschuhen trug, und schlüpfte erst an der Haustür in die Schuhe, weil sie nichts mehr hasste als schmutzige Fußböden. Fröhlich summend verließ sie die Wohnung und klapperte die Treppe hinunter.
    Donna wich Jordan und Connor aus und schrie der tauben Kayleigh einen Gruß zu, die sie jedoch nur verständnislos ansah. Heimlich versetzte sie Mr Lucketts Hund, der die Mülleimer von Broombanks durchstöbert hatte und sich jetzt an Kevins Fiesta erleichterte, ein paar erfolgreiche Tritte.
    »Was haben Sie denn vor?«, grunzte Mr Luckett und beäugte sie misstrauisch, als der Hund jaulend die Straße hinauf flüchtete.
    »Das geht Sie einen Scheißdreck an.«
    »Man sollte Ihnen den Mund mit Seife auswaschen. Sehen Sie sich bloß an! Aufgetakelt wie eine Nutte. Unmöglich, diese jungen Leute heute!«
    Donna zeigte ihm den Mittelfinger und verließ die Banks mit ihren roten Ziegelhäusern, um ihren Raben zu treffen. Heute Abend würden sie etwas Aufregendes, etwas Amüsantes unternehmen – das wusste sie genau.
     
    Im Pfarrhaus machte sich Reverend Timothy Widdows (»nennen Sie mich Tim«) ebenfalls fertig zum Ausgehen. Er hatte sein Haar mit Wachs bearbeitet und dabei den coolen neuen Schnitt bewundert. Seine stone-washed Jeans waren frisch gebügelt, jetzt suchte er nach einem passenden T-Shirt.
    Nicht weiß, entschied er – weiß passte nicht zum Kollar. Auch den witzigen Mitteilungen auf dem Hemd erteilte er eine Absage. Wählte man den falschen Spruch, konnte man nur allzu leicht die Leute damit verprellen. Also einfarbig. Dunkelblau vielleicht oder weinrot. Vor dem Spiegel hielt er sich das rote T-Shirt vor den Körper. Sah er damit nicht aus wie ein Kardinal? Auf keinen Fall wollte er für einen Katholiken gehalten werden. Seine Wahl fiel auf das blaue, das die Farbe seiner Augen betonte (Vergissmeinnicht!) und die seines Haars (karottenrot) ein wenig kaschierte. Anschließend schnupperte er an seinen Socken, die er den ganzen Tag getragen hatte, rümpfte die Nase und entsorgte sie ordentlich in den Wäschekorb. Seine Füße bereiteten ihm zugegebenermaßen einige Probleme. In der Schublade kramte er nach frischen Socken und fand ein Paar in Blassblau, das mit dem dunkleren Blau seines T-Shirts harmonierte. Er schlüpfte in die nagelneuen Reeboks, lief ein paar Schritte auf der Stelle, um sich zu beweisen, wie fit er war, hustete, schnappte nach Luft und überlegte, welche Jacke er überziehen sollte. Den Anorak? Der sah zwar plebejisch aus, was gut war, aber auch irgendwie tölpelhaft, was ihm weniger gefiel. Er probierte den Blazer aus und betrachtete sich erneut im Spiegel. Nein – zu sehr Mittelklasse. Als Nächstes zog er eine schwarz-silberne Baseballjacke an und war schon dabei, die passende Kappe aufzusetzen,
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