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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu
Autoren: Kim Stanley Robinson
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zum Schluß gekommen war, daß es der Mühe nicht wert sei, interessierte mich in erster Linie, warum andere damit weitermachen. Tieren hinterherjagen, dann die kleinste Kleinigkeit erklären, die man festgestellt hat, und schließlich mit allen heftig über mögliche Erklärungen dafür streiten – als Berufung? Warum, zum Teufel, tut jemand sowas?
    Ich sprach mit Sarah darüber, eines Tages, als wir oben im mittleren Tal waren und Bienenstöcke suchten. Ich sagte ihr, ich hätte mir ein Einstufungssystem zurechtgebastelt.
    Sie lachte. »Klassifikationslehre! Man kann seiner Ausbildung nicht entkommen.« Und forderte mich auf, ihr darüber zu erzählen.
    Zuerst, sagte ich, kämen die, die ein echtes und starkes Interesse an Tieren hätten. Sie gehörte auch dazu, sagte ich; wenn sie einen Vogel vorbeifliegen sah, legte sich ein Ausdruck auf ihr Gesicht … als ob sie ein Wunder sähe.
    Sie war sich nicht so sicher, ob ihr das gefiel; man muß schon wissenschaftlich unvoreingenommen sein, Du verstehst. Aber sie gestand mir ein, daß es diesen Typ mit Sicherheit gab.
    Dann, sagte ich, wären da die Pirschjäger. Diese Leute krochen gern wie spielende Kinder im Gebüsch herum, um andere Geschöpfe zu jagen. Ich fuhr damit fort, ihr zu erklären, warum ich dies für einen starken Trieb hielt; ich hatte den Eindruck, daß das Leben, zu dem es führte, sehr dem ähnelte, das unsere primitiven Vorfahren eine Million lange Jahre geführt hatten. In Lagern leben, Tiere im Wald verfolgen: die Rückkehr zu dieser Lebensweise gibt einem ein besonders befriedigendes Gefühl.
    Sarah pflichtete mir bei und wies darauf hin, daß man, wenn man heutzutage des Lagerlebens überdrüssig war, auch einfach verschwinden, ein warmes Bad nehmen, einen Kognak trinken und sich Beethoven anhören konnte, wie sie es ausdrückte.
    »Genau!« sagte ich. »Und selbst hier im Lager gibt's ein ganz interessantes Nachtleben; ihr habt eueren Dostojewski und eure Diskussionen über E. O. Wilson … das Beste beider Welten. Ja, ich glaube, die meisten von euch sind irgendwo Pirschjäger.«
    »Aber du sagst immer ›ihr‹«, wandte Sarah ein. »Warum stehst du außerhalb davon, Nathan? Warum bist du ausgestiegen?«
    Und hier wurde es ernst; ein paar Jahre lang hatten wir denselben Weg beschritten, was nun nicht mehr der Fall war, da ich ihn verlassen hatte. Ich dachte sorgfältig nach, wie ich es ihr erklären sollte. »Vielleicht wegen des dritten Typs, den Theoretikern. Denn wir müssen uns daran erinnern, daß die Tierverhaltensforschung ein sehr respektables akademisches Fachgebiet ist! Es muß seine intellektuelle Rechtfertigung haben; man kann nicht einfach vor den akademischen Rat treten und sagen: ›Ehrwürdige Kollegen, wir tun das, weil es uns gefällt, wie Vögel zu fliegen und es Spaß macht, in Büschen herumzukriechen!‹«
    Sarah lachte darüber. »Das stimmt.«
    Und ich erwähnte die Ökologie und das Gleichgewicht der Natur, Populationsbiologie und die Erhaltung der Arten, Evolutionstheorie und wie das Leben zu dem wurde, was es ist, Soziobiologie und die ihr zugrundeliegenden tierischen Sozialverhaltensformen … Aber sie hielt dagegen und wandte ein, dies seien wichtige Themen.
    »Soziobiologie?« fragte ich. Sie zuckte zusammen. Ich gestand dann ein, daß es tatsächlich einige ausgezeichnete Argumente für das Studium der Tierwelt gäbe, behauptete jedoch, für einige Menschen sei diese Richtung die wichtigste des Fachs. »Für die meisten Angehörigen unserer Abteilung sind die Theorien wichtiger als die Tiere geworden«, sagte ich. »Sie suchen im Feld lediglich weitere Daten für ihre Theorien! Sie interessieren sich nur für ihre Veröffentlichungen oder Konferenzen, und viele leisten nur Feldarbeit, weil man beweisen muß, daß man dazu imstande ist.«
    »Oh, Nathan«, sagte sie. »Du klingst zynisch, aber Zyniker sind nur enttäuschte Idealisten. Ich habe dich auch so in Erinnerung – du warst ein großer Idealist!«
    Ich weiß, Freds, Du wirst ihr zustimmen: Nathan Howe, der Idealist. Und vielleicht bin ich das auch. Das habe ich ihr auch gesagt: »Aber, zum Teufel, die Atmosphäre in der Fakultät hat mich krank gemacht. Theoretiker, die einander wegen ihrer Lieblingsideen in den Rücken fallen und sich so wissenschaftlich wie möglich geben, wenn sie eigentlich gar nichts Wissenschaftliches zu sagen haben! Man kann diese Theorien nicht überprüfen, indem man ein Experiment entwirft und feststellt, ob es sich wiederholen
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