Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
Spuren in dieser Gegend bislang nur ein paar Eichhörnchen und in einiger Ferne einen oder zwei Affen gesehen hatte. Natürlich hätte es geholfen, wenn er die eine oder andere Nacht mal in dem Tarnverschlag zugebracht hätte. Auf jeden Fall wollte er ein Thema zur Sprache bringen, bei dem er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand und als der Experte die Bühne für sich beanspruchen konnte. »Ihr wißt ja, daß diese Hochtäler der eigentliche Lebensraum des Yetis sind«, erklärte er prosaisch.
    Dabei wäre mir fast die Gabel aus der Hand gefallen. »Es muß natürlich als beinahe sicher gelten, daß es sie gibt«, fuhr Adrakian mit einem komischen Lächeln fort.
    »Ach, Philip«, sagte Sarah. Sie sagte das dieser Tage ziemlich oft zu ihm, was mich nicht im geringsten störte.
    »Es stimmt.« Dann führte er die Indizien an, die wir natürlich alle kannten: die Spuren im Schnee, die Eric Shipton fotografiert hatte, die Argumente, mit denen George Schaller die Idee unterstützt hatte, die Fußabdrücke, die Cronins Expedition gefunden hatte, die zahlreichen anderen Hinweise… »Wie wir nun aus erster Hand wissen, gibt es hier Tausende Quadratkilometer undurchdringlicher Gebirgs wildnis.«
    Natürlich mußte er mich nicht mehr überzeugen. Und die anderen waren vollauf bereit, die Vorstellung in Betracht zu ziehen. »Wäre es nicht toll, wenn wir einen fänden!« sagte Valerie. »Wir machen ein paar Fotos …«
    »Oder wenn wir eine Leiche fänden«, sagte John. Botaniker denken in Begriffen immobiler Objekte.
    Phil nickte langsam. »Oder wenn wir einen lebendig gefangennehmen könnten …«
    »Wir würden berühmt«, sagte Valerie.
    Theoretiker. Vielleicht werden sogar ihre Namen lateinisiert und Bestandteil der Bezeichnung der neuen Spezies. Gorilla montani adrakianias-budgeon.
    Ich konnte einfach nicht anders; ich mußte das Wort ergreifen. »Wenn wir eindeutige Beweise für die Existenz des Yetis fänden, wäre es unsere Pflicht, sie beiseite zu schaffen und zu vergessen«, sagte ich, vielleicht eine Spur zu laut.
    Alle starrten mich an. »Warum denn das?« fragte Valerie.
    »Um des Yetis willen, natürlich«, sagte ich. »Als Tierverhaltensforscher liegt euch doch wahrscheinlich etwas am Wohlergehen der Tiere, die ihr studiert, oder? Und der Ökosphären, in denen sie leben? Doch wenn die Existenz des Yetis bestätigt würde, wäre es für beide katastrophal. Es würde eine Invasion von Expeditionen geben, Touristen, Wilderer … Yetis in Zoos, in Käfigen der Primatenzentren, in Laboratorien unter dem Messer, ausgestopft in Museen …« Ich erregte mich zusehends. »Ich meine, was für einen wirklichen Wert haben Yetis überhaupt für uns?« Sie starrten mich nur an: Wert? »Ihr Wert liegt in der Tatsache, daß sie unbekannt sind, außerhalb der Wissenschaft stehen. Sie sind Teil der Wildnis, die wir nicht berühren können.«
    »Ich verstehe, was Nathan meint«, sagte Sarah in das darauffolgende Schweigen, mit einem Blick, der dazu führte, daß ich den Faden verlor. Ihre Zustimmung war mir viel, viel wichtiger, als ich erwartet hätte …
    Die anderen schüttelten die Köpfe. »Eine nette Einstellung«, sagte Valerie. »Aber unsere Studien würden weder die Ökosphäre noch die Spezies besonders gefährden. Und denke nur einmal darüber nach, wie sie unser Wissen über die Entwicklung der Primaten vergrößern würden!«
    »Der Fund eines Yetis wäre ein wichtiger Beitrag für die Wissenschaft«, sagte Phil mit einem Blick auf Sarah. Und er war wirklich dieser Meinung; das muß ich ihm lassen.
    »Und er würde unsere Chancen auf eine Professur auch nicht schaden«, sagte Armaat verschlagen.
    »Das auch«, gestand Phil ein. »Aber in Wirklichkeit kommt es darauf an, daß man der Wahrheit verpflichtet ist. Wenn wir einen Yeti fänden, wären wir gezwungen, es publik zu machen, weil dem nun einmal so war – ganz gleich, was wir darüber denken. Ansonsten würden wir Fakten unterdrücken und manipulieren und so weiter.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es gibt Werte, die wichtiger sind als wissenschaftliche Integrität.«
    Und das Gespräch schlug nun diese Wendung ein und beschränkte sich hauptsächlich darauf, die unterschiedlichen Ansichten zu wiederholen. »Du bist ein Idealist«, sagte Phil einmal zu mir. »Man kann keine Zoologie betreiben, ohne die Versuchstiere bis zu einem gewissen Grad zu stören.«
    »Vielleicht bin ich deshalb ausgestiegen«, sagte ich. Und mußte mich davon abhalten, fortzufahren.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher