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Flucht aus Katmandu

Titel: Flucht aus Katmandu
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Gelegentlich rasten wir an Statuen des Buddha vorbei oder langen Wandgemälden mit Bönpa-Dämonen, die wie lebendig gewordene Alpträume aussahen. Manchmal fiel der Tunnel steiler ab, und wir mußten eine Geschwindigkeit von hundertzwanzig oder hundertdreißig Stundenkilometern erreicht haben. Freds gewöhnte sich an dieses Tempo, und wenn der Tunnel wieder flacher verlief, pumpte er, damit wir die Geschwindigkeit hielten. Er kommandierte Bahadim an die Bremse ab, da ihm nicht gefiel, daß ich sie zu oft einsetzte.
    Ich weiß nicht, wie lange wir auf diese Art den Tunnel entlang schossen; manchmal glaubte ich, wir seien schon seit Tagen unterwegs, und manchmal schienen nur ein paar Minuten verstrichen zu sein, seit der König und ich im Kreis aus Bahadims Leuten gestanden hatten. Ein Problem, mit dem ich nie gerechnet hätte, war die Kälte. Die Luft hier unten war vielleicht fünf oder zehn Grad warm – das ließ sich durchaus ertragen –, doch bei der Geschwindigkeit, mit der wir uns bewegten, schien ein Wind von neunzig oder hundert Stundenkilometern über uns hinwegzupfeifen, und ich glaube, man muß für jeden Stundenkilometer ein halbes Grad abziehen, wenn man die Kälte des Windes berechnen will, und das hieß, daß es für uns etwa dreißig Grad unter dem Gefrierpunkt war. Und wir fühlten jedes Grad davon. Selbst Freds erklärte, es sei etwas unbehaglich, und ich ertappte ihn dabei, wie er sich eine Hand wärmen wollte, indem er sie direkt über eine Bremsbacke über die Seite hielt. »Soviel hilft das nun auch nicht«, gestand er mit klappernden Zähnen ein. Schließlich hockten wir uns alle auf den Boden der Lore und versteckten uns hinter der Vorderwand, fuhren blind und froren uns buchstäblich den Arsch ab.
    Schließlich stieß sich Freds hoch, um in die Dunkelheit zu sehen, sprang dann zur Bremse und zog daran, was zu einem ohrenbetäubenden Kreischen der Räder führte. Als wir angehalten hatten und mit den Taschenlampen leuchteten, fanden wir uns in einer anderen kreisrunden, mit Loren gefüllten Kammer wieder. Wir sprangen steif wie tiefgefrorene Schweinskotelettes hinaus und folgten Freds durch einen Tunnel auf der anderen Seite. »Ich kann meine Hände nicht spüren«, sagte Bahadim. Ich spürte weder Hände noch Füße.
    »Es sind nur noch ein paar hundert Meter«, sagte Freds, dessen Zähne in einem Schüttelfrostanfall aufeinander schlugen. »Mein Gott, war das nich toll? Wie eine Riesenachterbahn – das will ich noch mal machen.«
    Hinter uns im Tunnel hörten wie das schwache, tiefe Knirschen von eisernen Rädern auf eisernen Schienen. »He, die Burschen haben ja richtig gut mitgehalten. Kommt, wir müssen uns beeilen.«
    Wir taumelten weiter und schlugen uns mit den Armen an die Seiten, um uns aufzuwärmen. Bahadim wärmte sich auf, indem er mich schlug. Bald erreichten wir eine lange Treppe aus groben Steinstufen; da unsere Knie noch nicht vollständig aufgetaut waren, mußten wir uns wie Frankenstein hinaufschwingen. Doch die Luft wurde wärmer, und dann prallten wir zusammen, da Freds stehengeblieben war und seine Taschenlampe ausgeschaltet hatte.
    »Na also«, sagte er. »Da ist der Eingang.«
    »Wo?«
    »Direkt vor uns.«
    »Wo?«
    »Es ist noch dunkel, George.« Er schaltete seine Taschenlampe ein und aus, und ich erhaschte einen kurzen Blick auf Saalbäume.
    »Oh, nein«, sagte ich. Ich wollte nicht des Nachts zu Fuß in den Dschungel gehen; das lehnte ich absolut ab. Doch hinter uns, im Tunnel, erklang ein fernes Kreisch, einige schwache Rufe und dann ein kurzes Poltern. Die Leibwache des Königs war da.
    »Kommt schon«, sagte Freds und lief los.

17

    So schlimm es auch sein mag, des Nachts auf dem Rücken eines verrückt gewordenen Elefanten durch den Dschungel zu preschen, es ist noch viel schlimmer, ihn zu Fuß zu durchstreifen. Wir schlichen uns zwischen Bäumen hindurch und durch Büsche und versuchten, so leise wie möglich zu sein, und je leiser wir waren, desto besser konnten wir hören: ein Knistern, ein Rascheln, schnelle, scharrende Geräusche; der gelegentliche Schrei eines Vogels, kurz und auf den Punkt gebracht. Und dann knackte irgendwo ein Ast, und jedes andere Geräusch dort draußen in der Dunkelheit verstummte und hinterließ ein schweres Schweigen, von dem man wußte, daß sich jede Menge Lebewesen darin niederkauerten und darauf warteten, daß etwas Großes weiterzog, und mit Nasen schnüffelten und mit Ohren lauschten, die viel schärfer als die unseren
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