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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis
Autoren: Frederike Schmöe
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Flucht aus der DDR , längst hinter sich. Sie wünschte sich, ihre Autobiografie unter dem Titel ›Eine Adelige in der DDR ‹ zu vermarkten. Auch in Sachen Marketing vertraute sie ganz auf mich und meine Kontakte in der Branche. Ich war mir nicht sicher, ob diese Masche viele Käufer locken würde. Effizienter schien es mir, ein dramatisches Detail ihres Lebens in den Blick zu rücken. Am besten die Umstände ihrer misslungenen Flucht 1973. Sie sollte in einem Versteck an Bord eines umgebauten LKW über die Transitautobahn in den Westen ausgeschleust werden. Doch darüber hatten wir noch gar nicht gesprochen. Meine Kundin verstand das Geheimnis, ihre Zuhörer neugierig zu machen. Sie streifte den Kern der Geschichte, ohne ihn vollständig auszureizen. Wie ein guter Liebhaber, der den Höhepunkt so lange wie möglich hinauszuzögern wusste.
    Sie deutete auf mein Aufnahmegerät.»Schalten Sie den Rekorder eine Weile aus. Ich brauche eine Pause.«
    Mir ging es nicht anders. Ich klickte auf ›Stop‹.
    »Warum nehmen Sie nicht mein Rad und unternehmen eine kleine Tour an den Main? Wer weiß, wie lange das Wetter noch hält.« Sie strich sich das verschwitzte graue Haar zurück, das dringend einen Friseurbesuch brauchte.
    Sie wollte mich loswerden. Ich verstand sie. Wer einem Ghostwriter sein Leben schilderte, kriegte schnell ein paar Dosen zu viel vom eigenen Selbst ab. Ein Beleg dafür, dass man sich selbst nur schwer erträgt, dachte ich grinsend, während ich eine halbe Stunde später auf dem gräflichen Mountainbike durch den Park hinunter ins Dorf Rothenstayn rollte.

2
    Ein trauriger Augusttag. Der 28. Herbstlich, zu kühl, ohne Sonne. Laub, das sich zu färben begann. Larissa hatte recht behalten. Der Wetterumschwung bescherte uns einen Vorgeschmack auf die kommenden acht Monate.
    »Gräfin?«
    Meine Stimme hallte in dem großen, leeren Speiseraum. Normalerweise saß Larissa schon früh am Morgen in ihrem giftgrünen Sessel, guckte Frühstücksfernsehen und genoss ihren Tee.
    »Gräfin?«
    Larissa bestand nicht auf dieser Anrede, aber ich fand sie praktischer als ›Frau von Rothenstayn‹. Kurz, knapp, ironisch. Passend zu Larissas Persönlichkeit.
    Das Schloss zeigte sich im düsteren Morgenlicht wenig anheimelnd. Da nur wenige Räume benutzt wurden, verstärkte sich der Eindruck eines Auslaufmodells. Eines Gebäudes, das Energie und Arbeit erforderte, ohne Leben auszustrahlen. Larissa bewohnte ausschließlich das Parterre. Die Räume in den oberen Stockwerken glichen Ausstellungsflächen, vollgestopft mit Möbeln, die unter staubigen Laken die Tage kommen und gehen ließen. Sogar die Treppen, die hinaufführten, wirkten abweisend, als ertrügen die ausgetretenen Stufen keine auf ihnen herumtrampelnden Füße mehr. Das einst schön gedrechselte Holzgeländer war von Schädlingen zerfressen.
    Der lange Gang im Parterre schwamm in Düsternis. Ich machte Licht. Sah in die Küche. Keine Gräfin.
    Die Arme um den Oberkörper geschlungen, eilte ich den dunklen Flur zurück zu meinem Zimmer. Es lag ganz am Ende des Erdgeschosses mit Blick auf die Rückseite des Grundstücks. War mit viel Liebe renoviert worden, der Parkettboden mit Öl eingelassen, die Wände strahlten in warmem Sonnengelb. Das dezent in Rosa gehaltene Bad versteckte sich hinter einer Tapetentür. Unschlüssig stand ich vor dem Waschbecken, nestelte an meinem Pferdeschwanz. Gestern Abend war überraschend Besuch aufgetaucht. Wir hatten das letzte Interview des Tages abgebrochen. Vielleicht war Larissas Gast noch im Haus?
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Die Gräfin in ihrem Schlafzimmer zu stören, kam nicht infrage.
    Ich griff nach meinem Fleecepulli und machte mich auf in den Garten.
    Normalerweise führten wir das erste Interview des Tages beim Frühstück. Ich bekam meinen schwarzen Kaffee, die Gräfin ihren Earl Grey. Fröhlich fragte sie mich dann: »Wo sind wir gestern stehen geblieben?« Oder: »Was habe ich Ihnen eigentlich als Letztes weisgemacht?« Ich half ihr auf die Sprünge, und sie erzählte weiter von ihrem Leben, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben. Für eine Ghostwriterin war Larissa Gräfin Rothenstayn eine leicht zu handhabende Kundin.
    Ich trat durch die Terrassentür, die den Speiseraum mit dem Park verband, ins Freie. Selbst die üppigen Blumenrabatten riefen keine sommerlichen Gefühle mehr hervor. Erst gestern hatten wir hier neben dem Brunnen auf den Gartenstühlen gesessen und geschwatzt. Über Nacht hatte
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