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Fleisch ist mein Gemüse

Fleisch ist mein Gemüse

Titel: Fleisch ist mein Gemüse
Autoren: Heinz Strunk
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haben mich mit 150 in ner Autobahnbaustelle geblitzt.»
    Geschwindigkeitsübertretung schien mir das Beste zu sein. Ich war eben ein Mensch, der es eilig hatte. Ich hätte natürlich auch sagen können: «Ich bin bei Rot über ne Ampel gefahren, und da stand noch jemand. Aber ich kann nichts dafür, weil ich besoffen war.» Na ja, besser nicht.
    «Pass auf, dann wirst du vor dem Soundcheck abgeholt, so gegen halb sechs.»
    «Alles klar. Und wie ist es mit Klamotten?»
    «Wenn du schwarze Hose, schwarze Schuhe und weißes Hemd mit Stehkragen mitbringen könntest, wär gut. Sakko und Fliege kriegst du von uns. Also dann, bis Samstag, frisch rasiert und gut gelaunt, hahaha.»
    «Hahaha, ja logisch. Tschöööös.»
     
    Es gibt Orte, die sollte man früh verlassen, wenn man noch etwas vorhat im Leben. Der Hamburger Stadtteil Harburg liegt am falschen, dem südlichen Ufer der Elbe. Das schöne, große, eigentliche Hamburg ist auf der anderen Seite. In jeder Stadt gibt es richtige, weniger richtige und falsche Bezirke, und wenn man im falschen wohnt, sollte man damit nicht hausieren gehen.
    Das weithin sichtbare Wahrzeichen Harburgs sind die 1856 gegründeten Phoenix-Gummiwerke. Wo andere Städte eineBurg oder einen Dom haben, steht mitten in Harburg dieses riesige Industrieareal. Schon als Kind hat mich die Phoenix fasziniert. Sie war irgendwie unwirklich und erinnerte an Fabriken in Stummfilmen von Fritz Lang. Der Weg zum Kindergarten führte mich jeden Tag an den geheimnisvollen Gemäuern vorbei, und ich habe mich oft gefragt, was da drinnen wohl vor sich geht.
    Harburg ist der langweiligste Ort der Welt, aber das ist ja auch schon wieder Quatsch, denn die Kasseler oder die Ulmer beanspruchen das zu Recht auch für ihre Städte. In den siebziger Jahren eröffnete McDonald’s in Harburg eine der ersten Filialen in Deutschland, die sich sofort zum zentralen Treffpunkt sozial auffälliger Jugendlicher entwickelte. Kinder aus normalen Verhältnissen trauten sich schon bald nicht mehr dort hin, denn zum Cheeseburger gab’s von den halbstarken Schlägerbanden gleich noch gratis eins auf die Nuss, mindestens. Dann soll angeblich irgendwo das legendäre Harburger Schloss existieren, das aber noch nie ein Mensch zu Gesicht bekommen hat.
    «Sag mal, das
Harburger Schloss
, wo ist das denn eigentlich nun genau?»
    «Weiß ich auch nicht. Aber irgendwo soll das sein.»
    Weltberühmt geworden ist Harburg durch die Terroranschläge des elften September. Wer hätte das für möglich gehalten? In den Häusern, in denen ich jahrelang ein und aus gegangen war, hatten also die Top-Terroristen gewohnt! Mohammed Atta, Marwan al-Shehhi, Ramzi Binalshib und wie sie alle hießen waren in den mir bekannten Straßen einfach so herumgelaufen und hatten bei Schlecker oder Eurospar wie jeder andere auch Seife oder Butter gekauft. Die Technische Universität, Harburger Chaussee Nr.   115, Marienstraße 54 und die Wilhelmstraße 30! Hier hat der Chef Mohammed Atta, ein guter Koch, wie kolportiert wird, für sich und seine Mordbuben orientalische Spezialitäten gebrutzelt. Aber selbst diesen Ruhmmusste Harburg abtreten, denn bald hieß es vereinfachend nur noch, die Terroristen hätten ihre Anschläge von Hamburg aus geplant.
    In einem der Außenbezirke bewohnte ich zusammen mit meiner Mutter ein nur sechzig Quadratmeter großes Reihenhaus. Die Straßen der in den fünfziger Jahren erbauten Siedlung waren ausschließlich nach niedersächsischen Provinzkäffern benannt:
Walsroder
Ring,
Celler
Weg,
Luhdorfer
Stieg. Noch nicht mal Hannover war dabei! Wir wohnten im
Bispinger
Weg 7b. Irgendwie war alles eng und winzig. Straßen, Gärten, Häuser, ja selbst Bäume, Pflanzen und Haustiere wirkten eine Nummer kleiner als anderswo.
    Auch meine Kinderfreunde Peter Barsties und Walter Scherwath waren hier kleben geblieben. Peter hatte bereits mit zwanzig geheiratet und bewohnte mit seiner Frau ein eigenes Zwergenhaus. Er und Walter waren immer noch gut miteinander befreundet; ich hingegen wurde gemieden. Es herrschte damals in der Siedlung die einhellige Meinung, aus mir würde nichts Rechtes mehr werden. Peter und Walter hatten schon längst ihre Ausbildung beendet und standen erfolgreich im Berufsleben.
    Die Harburger Walter und Peter hatten eine auffällige Ähnlichkeit mit den echten Walter und Peter, den Söhnen des ewigen Oppositionsführers Dr.   Helmut Kohl, der sich mit Hilfe seines Erfüllungsgehilfen Genscher nun doch noch zum Bundeskanzler
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