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Flashback

Titel: Flashback
Autoren: Dan Simmons
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konnte sich noch aus eigener Anschauung an diese historische Epoche erinnern, und Nick fragte sich, warum die Modegurus aus Japan diesen Trend zum zehnten Mal aus der Versenkung geholt hatten. Trotzdem – an dem schlanken, eleganten Mr. Nakamura sah der Stil der toten Kennedys gut aus. Sato war fast genauso erlesen gekleidet, auch wenn sein Anzug wahrscheinlich ein-, zweitausend neue Dollar weniger gekostet hatte. Allerdings hätte der Anzug des Sicherheitschefs sorgfältiger geschneidert sein müssen. Trotz seiner fortgeschrittenen Jahre war Nakamura dünn und fit, während Sato gebaut war wie der sprichwörtliche Kleiderschrank, falls die Japaner so was überhaupt hatten.
    Als er die kühle Brise aus dem Garten spürte, die seinen nach unten gekrümmten Zeh umfächelte, wurde Nick klar, dass er zwar mit Abstand der größte Mann im Zimmer war, aber auch auf die für ihn mittlerweile typische Weise die Schultern nach unten hängen ließ. Wenn er wenigstens sein Hemd gebügelt hätte! Eigentlich hatte er es vorgehabt, dann aber letzte Woche nach der Einladung
zu diesem Vorstellungsgespräch einfach keine Zeit dazu gefunden. Da stand er nun in einem zerknitterten Hemd unter einem zerknitterten, zwölf Jahre alten Anzugjackett – dazu kein passendes Beinkleid, nur die am wenigsten verbeulte und verschmutzte Kakihose. Alles in allem sah er garantiert aus, als hätte er nicht nur in seinen Kleidern geschlafen, sondern auf ihnen. Und erst am Morgen in der Wohnwabe hatte er gemerkt, dass er die alte Hose, das Anzugjackett und den Hemdkragen nicht zuknöpfen konnte, weil er in den letzten ein oder zwei Jahren so stark zugenommen hatte. Er konnte nur hoffen, dass sein unmodisch breiter Gürtel den offenen Hosenknopf und der Krawattenknoten den unverschließbaren Hemdkragen verdeckten, zumal schon der verfluchte Schlips dreimal so dick war wie die der beiden Japaner. Und es war auch nicht unbedingt förderlich für Nicks Selbstvertrauen, dass diese Krawatte, ein Geschenk Daras, wahrscheinlich ungefähr ein Hundertstel von dem gekostet hatte, was Nakamura für seine ausgegeben hatte.
    Egal. Es war Nicks letzte Krawatte.
    Nick Bottom war im vorletzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts geboren, und jetzt spukte ihm ein Lied aus einer Kindersendung von damals durch den schmerzdröhnenden, flashbackhungrigen Schädel.
    Scheiß drauf , dachte er erneut, und eine panische Sekunde lang hatte er Angst, laut gesprochen zu haben. Es fiel ihm immer schwerer, sich in dieser elenden, irrealen, flashbacklosen Welt auf irgendetwas zu konzentrieren.
    Und weil die ausgedehnte Stille von Mr. Nakamura ganz gelassen und von Sato geradezu amüsiert aufgenommen wurde, fügte Nick Bottom, dem diese Stille peinlich war, etwas hinzu: »Natürlich ist es schon ein paar Jahre her, dass Cherry Creek ein Einkaufszentrum war und dass es dort Läden gab. BIAHTF.«
    Nick sprach die Abkürzung »buy-ought-if« so aus, wie es alle Leute taten, doch Nakamuras Gesicht blieb ausdruckslos, passiv
herausfordernd oder höflich neugierig – vielleicht auch eine Kombination aus allen dreien. Eins stand für Nick fest: Der Großunternehmer aus Nippon machte ihm keinen Teil des Gesprächs leicht.
    Sato war die Phrase sicher schon begegnet, aber anscheinend hatte er keine Lust, sie für seinen Chef zu übersetzen.
    »Before it all hit the fan – bevor alles den Bach runterging«, erklärte Nick. Er ließ unerwähnt, dass das gebräuchlichere »dieought-if« für »day it all hit the fan« stand: »der Tag, an dem alles den Bach runterging«. Bestimmt kannte Nakamura beide Ausdrücke. Schließlich lebte der Mann nach seiner Ernennung zum Vierstaatenberater seit fast fünf Jahren in Colorado. Und auch davor hatte er solche amerikanischen Ausdrücke zweifellos schon gehört, zum Beispiel von seinem ermordeten Sohn.
    »Ah.« Mr. Nakamura vertiefte sich wieder in das E-Pergament. Bilder, Filme und Textspalten huschten über das papierflexible Blatt und verschwanden unter der leisesten Bewegung von Nakamuras manikürten Fingerspitzen. Nick bemerkte, dass der Milliardär starke Arbeiterhände hatte – allerdings hatte er sie bestimmt nie für eine körperliche Tätigkeit benutzt, die nicht Teil einer Freizeitbeschäftigung war. Segeln vielleicht. Oder Polo. Oder Bergsteigen. Alle drei Hobbys wurden in Hiroshi Nakamuras Go-Wiki-Bio erwähnt.
    »Und wie lange waren Sie Mitarbeiter des Denver Police Department, Mr. Bottom?«
    Nick hatte das Gefühl, dass das verdammte
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