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Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)

Titel: Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
Autoren: John Friedmann
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übermächtiger Vater zu werden. Mit Panamahut, beigem Mantel und diesen starken, unbeugsamen Händen am Steuer, die er an seinem Vater so bewundert hatte.
    Und jetzt saß er vorne in genau demselben Wagen, den er geerbt hatte und seitdem wie seinen Augapfel hütete. Fast wie damals. Eines wäre damals allerdings undenkbar gewesen: eine Frau hinter dem Lenkrad einer solchen Staatskarosse! Nicht bei seinem Vater. Aber der war schon lange tot. Carlo vermisste ihn, jeden Tag.
    Elli riss ihn aus seinen Gedanken. »Bärlauchpesto mit Oliven, bitte.«
    »Wie?«
    »Ach, gib mir einfach beide.«
    Elli schien es ernst zu meinen. Die Ernährungsphilosophien hatten sich bei Elli, die etwas fester gebaut war, im Rhythmus von sechs Monaten abgewechselt. Bis Ende ihrer Studienzeit hatte sie nicht ein Gramm Fett am Körper gehabt. Damals hatte sie noch täglich Zeit für Sport gehabt. Doch jedes einzelne Bürojahr hatte sich mit einem neuen Kilo manifestiert. Nun, eine Frau in den Vierzigern musste auch nicht unbedingt den Verdacht erwecken, an Bulimie zu leiden, oder? Endlich hatte Elli das eingesehen.
    Der Zigarettenanzünder glühte auf und klickte. Doch Anna hatte ihr Feuerzeug schon längst gefunden und war nun dabei, sich ihre Marlboro selbst anzuzünden. Carlo war das von Anna gewohnt. Mit einem Schulterzucken reichte Carlo seiner Schwester zwei Tramezzini.
    Halb abwesend, streckte Elli ihre rechte Hand nach vorne. »Pah, dämliches Schloss!«
    »Wo? Welches Schloss?«, wunderte sich Carlo.
    »Na, in Berlin, unserer Hauptstadtmetropole. Was für ein potemkinsches, armseliges Provinzdörfchen!«, schäumte Elli.
    Weder Anna noch Carlo wunderten sich noch. Das war typisch für Elli, zu lesen und dabei hin und wieder Kommentare abzugeben. Meist waren es eher Selbstgespräche, nur ab und zu für Zuhörer bestimmt. Elli schüttelte den Kopf, sie war in Fahrt. Sie lehnte sich vor und fragte: »Wieso bitte etwas wieder aufbauen, was architektonisch nie von Bedeutung war? Maximal Mittelmaß! Und dann sowieso nur die Fassade? Innen alles banaler Schuhkarton. Wie bei einer Schießbude!«
    »Mei, Berlin halt«, sagte Carlo mehr oder weniger treffend.
    »Was könnte man an so einem Ort alles bauen!«
    »Ja was denn, Elli?«, fragte er.
    Da musste sie nicht lange überlegen. »Eine begehbare Skulptur! Lebendige Architektur, keinen Sarg. Ein Juwel für die Zukunft!«
    »Elli hat recht. Da gehört was Kontroverses hin. Eine Art Guggenheim, wie in New York«, schaltete sich Anna ein.
    »Ganz genau!« Elli ließ sich wieder in die Sitze fallen und breitete ihre Arme aus. »Ein Museumsgebäude, das weit über die ganze Stadt strahlt.«
    Berlin sei nun mal nicht New York, gab Carlo den Damen zu bedenken.
    »Die hinken der Zeit hinterher, nicht nur architektonisch«, stellte Elli trocken fest. »Und München ist von der Avantgarde so weit entfernt wie ein Schweinebraten von der Molekularküche.«
    »Nix gegen einen guten Schweinebraten, Schwesterherz.«
    New York. Annas Gedanken fingen an zu wandern. »Wie, verdammt noch mal, bringe ich es ihm nur bei?«, dachte sie bei sich. Sollte sie es ihm in einfachen, klaren Worten, ganz sachlich und direkt, ins Gesicht sagen? War das der bessere, der ehrlichere Weg? Besser als eine Wahrheit beziehungsweise ein Schock in vielen kleinen Dosen? Geradeheraus, etwa so: Carlo, es ist aus!
    Oder wäre er bereit, mit ihr nach London zu gehen? Ganz weg aus seinem, ach so geliebten Schwabing, wo er fast jeden Tag in einem anderen Biergarten oder Café saß?
    Selbst wenn er mitkommen würde, was würde passieren? Mit ihr, mit ihm, mit ihnen beiden? Sicher, früher hatte sie seine unerschütterliche Gemütlichkeit und seine unbeirrbare Zuversicht besonders geliebt. Irgendwo tat sie das immer noch.
    So dankbar war sie damals gewesen, endlich einen Mann zu treffen, der ihr nicht spätestens nach zehn Sekunden klarmachen wollte, dass er der eigentliche Mittelpunkt der Welt war und sie sich glücklich schätzen durfte, wenn sie bald seine Kinder austragen, seine Anzüge abholen und dann seine Geliebte trösten durfte.
    Da hatte dieser Fels von einem Mann gesessen, gemütlich auf der Bank hinter ihr im Biergarten am Seehaus. Die Sonne schien und küsste alle Münchner. Nur hin und wieder wagte es eine von diesen typischen bayerischen Wattewolken, sich davorzuschieben. Es war später Nachmittag gewesen, und über den vielen halbgefüllten Bierkrügen, gegrillten Hendln, Schnittlauchbroten und sonstige Köstlichkeiten
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