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Flammenopfer

Flammenopfer

Titel: Flammenopfer
Autoren: Joerg Liemann
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das knittrige graue Shirt über den Kopf. Sternenberg drehte sich zur Seite.
    Er spürte, dass sie unter die Decke kam und dass sich ihr kühler Körper an ihn schmiegte, die Hände ruhig auf seine Schulter und seinen Arm gelegt. » Ist es so in Ordnung?«, fragte sie.
    » Ja. So ist es in Ordnung.«
    » Bist du auch so müde wie ich?«
    » Todmüde.«
    » Es ist schön, so müde zu sein, nicht?«
    » Ja.«
    » Und dabei zu liegen.«
    » Ja. Müde zu sein und dabei zu liegen.«
    » Gute Nacht.«
    » Guten Morgen.«

5
    Kai Sternenberg wachte mit dem wohligen Gefühl auf, seine Tochter Tatjana endlich wieder bei sich zu haben.
    Seit sie in Coimbra studierte, hatte sie ihn im Gegensatz zu ihrer Zwillingsschwester Anja, die nach Hamburg gegangen war, nicht besucht. Jetzt spürte er sie neben sich, wie früher, als sie morgens zu ihren Eltern ins Bett gekrochen kam, während Anja lange schlief oder sich lieber Spielzeug ins Bett holte, ehe sie sich wach genug für den Familientisch fühlte.
    Sternenberg strich über Tatjanas Hüfte und genoss die nackte Form.
    Seine Hand zuckte zurück, als habe er sich verbrannt, er ließ sich wie bei einer Kampfübung aus dem Bett rollen, stand auf, trat auf den Wecker und fluchte.
    Er starrte die junge Frau an, die fragend blinzelte und sich zur Seite drehte. Es war nicht seine Tochter. Natürlich war sie nicht Tatjana.
    Er deckte das Mädchen mit der Decke zu, die er bei seinem Paniksprung mitgerissen hatte. Eine Locke lag über ihren Augen, aber er wagte nicht, sie ihr aus dem Gesicht zu streichen.
    Unter der Dusche wartete er nicht, bis das Wasser warm wurde. Ich träume, dass ich mit Tatjana schlafe. Wenn das keinen Anruf bei der Telefonseelsorge wert ist!
    Das Wasser war schnell zu heiß, aber er stand unbeweglich und ließ es sich über den Nacken laufen. Ich bin zu lange allein, dachte er. Zu wenig Sex. Und zu wenig Zeit für meine Töchter. Ich werde nach Coimbra fliegen, und Anja werde ich zum Essen einladen. Alles andere muss warten.
    Er stand neben dem Bett und trocknete sich die Haare. Das Mädchen vom Dach sah im Schlaf jünger aus als mit dem Weinglas in der Hand. Sternenberg schätzte sie etwa so alt wie Anja und Tatjana.
    Er schrieb ihr einen Zettel mit einem Verweis auf Kaffeemaschine und Kühlschrank. Und mit der Bitte, die Wohnung nicht übers Fenster zu verlassen, weil es sich nicht von außen schließen ließ. Er zögerte. Sollte er noch etwas hinzusetzen?
    Er sah sie an und küsste sie vorsichtig auf die Wange. Sie lächelte im Schlaf, ohne die Augen zu öffnen. Wem hat sie zugelächelt?, fragte er sich.
    Er suchte die Autoschlüssel und nahm die Jacke. Keine vier Stunden Schlaf, das wird ein schwieriger Tag.
    » Königin Beatrix erwartet dich zur Rücksprache, Kai. Sie wirkt nicht besonders gnädig.«
    » Schon wieder ein neuer Anzug, Jano? Rote Krawatte zum hellbraunen Jackett? Mutig, mutig.«
    » Das ist nicht hellbraun, sondern brillant. Du könntest dir auch mal einen Binder zulegen, zumindest für die Audienzen.«
    » Gegen dich habe ich keine Chance.« Er schloss die Bürotür auf. » Was will sie?«
    Jano Dodorovic zuckte mit den Schultern. Er war ein Frühwarnsystem. » Keine Ahnung. Diese Frau ist so verschlossen, da kann man aber auch gar nichts erkennen. Ehrlich gesagt …« Er drückte sich zu Sternenberg ins Büro hinein, trat aber sofort wieder hinter die Türschwelle zurück. » Ehrlich gesagt finde ich sie als Frau doch sehr … sehr verschlossen.«
    » Jano, die ideale Frau hier im Dezernat bist du, da brauchst du dir keine Sorgen machen.«
    Dodorovic grinste.
    Kai Sternenberg hatte gelernt, dem drahtigen Mann täglich Komplimente zu machen und ihn zu sticheln. Beides motivierte ihn, ebenso die derben Witze der Kollegen. Dodo war nicht nur der bestgekleidete Mann im Dezernat – und fiel damit aus dem Rahmen der Berliner Reviermode –, sondern er wurde von den meisten als idealer Assistent gesehen. Wurde er zu lange nicht gelobt oder nicht beleidigt, dann schmollte er wirklich.
    » Kai, ich würde sie nicht warten lassen.«
    » Gut. Danke.«
    Dodorovic schloss die Tür von außen.
    Sternenberg saß am Tisch und schaute zur Decke. Die Räume waren größer und höher als vor dem Umzug. Altberliner Architektur, dachte er. Ein Polizeirevier wie beim Kaiser. Oder wie bei den Nazis. Hat die Volkspolizei auch hier gesessen? Heute, mit frischem Weiß, Chrom und Leder sieht es aus, als seien die Büros Repräsentationsräume.
    Es klopfte leise.
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