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Flammende Fesseln

Flammende Fesseln

Titel: Flammende Fesseln
Autoren: Vanessa Vulgaris
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Einladung in den Zirkus, der Tod dieser Frau, die ihr recht ähnlich gewesen zu sein schien – und nun diese merkwürdigen Blicke, mit denen Figgins sie bedachte! Wenn sie nicht erlebt hätte, wie höflich er war, würde sie diese Blicke fast mit denen von Kim und Kasimir vergleichen. Offen und direkt schaute sie den Direktor an. „Erinnere ich Sie an sie?“
    „Ja.“ Er nickte. „Sie sehen Marjorie sehr ähnlich – und offen gestanden war es auch ihre Idee, sie einzuladen. Es ist alles sehr merkwürdig…“ er kratzte sich geistesabwesend am Kopf und machte Anstalten, sich auf den Stuhl der Toten zu setzen, schrak dann jedoch zusammen und unterließ es. Stattdessen wandte er sich wieder Helena zu und sah ihr nun direkt in die Augen. „Keiner von uns weiß wirklich, was sie von ihnen gewollt hat oder wie sie zu ihnen stand. Eines jedoch kann ich Ihnen, nein, dir, Helena, sagen“- er legte Helena mit einer ziemlich ungeschickten Geste, die wohl väterlich wirken sollte, die Hand auf die Schulter – „dein Vater, er…ist nicht dein leiblicher Vater.“
    Stumm stand sie da und versuchte zu verstehen, was sie da gerade gehört hatte. Sie rang nach Luft und Worten, und immer wieder gingen ihr Bilder ihres vermeintlichen Vaters durch den Kopf und mischten sich mit den Erlebnissen des heutigen Tages: Die lüsternen Blicke der Artisten und die Blicke Mister Graysouls, ihre erigierten Glieder und sein harter Schwanz – mit einem Mal verstand sie.
    „Aber woher…“ hob sie an. Mr. Figgins zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus einem Holzkästchen und reichte es Helena. „Hier, sieh es dir an – das hatte sie immer bei sich.“ Es handelte sich um die Kopie einer Adoptionsurkunde, laut derer Mister Graysoul die Verantwortung für ein kleines Mädchen namens Helena Clark übernahm – für mich, dachte sie. Helena hob den Kopf und wagte kaum, die Frage auszusprechen: “Und Marjorie, ist sie…“ Figgins zuckte traurig mit den Schultern. „Ich kenne ihren Nachnamen leider nicht“, sagte er vorsichtig, „aber es ist gut möglich, dass sie…“
    Eine Welle der Verzweiflung stieg in Helena auf; mit den Tränen kämpfend wandte sie sich ab und lief aus dem Zirkuszelt ins Freie, bevor der Zirkusdirektor sie hätte aufhalten können.
    Traurig sah er ihr nach, und während er noch wortlos in die Nachmittagssonne starrte, erschien in der Zeltöffnung eine massige Gestalt.
    „Eva!“ Überrascht, ja, entgeistert sah er sie an. „Was um Himmels willen ist denn mit dir passiert?“
    Die bärtige Frau kam behäbig auf ihn zu, und trotz fehlendem Frack nahm Figgins Haltung an und war im Nu wieder ganz der Zirkusdirektor. Ich muss jetzt für sie da sein, dachte er sich. In mitfühlendem Ton fragte er: „Wie ist das passiert?“ Die Hand, die vor wenigen Minuten noch Helenas zarte Gestalt berührt hatte, tätschelte nun Evas breite Schulter.
    „Ich…ich bin beim Rasieren abgerutscht“ stammelte Eva; sie wirkte verlegen und mied seinen Blick. Der Direktor kannte sie lange genug um zu wissen, dass er ihr keine weiteren Details würde entlocken können – sicher war er jedoch, dass Eva in den letzten 10 Jahren niemals ein solches Missgeschick passiert war. Zudem zierte ihren sonst so prächtigen Vollbart nicht nur eine einzelne kahle Stelle, nein – er war vollkommen abrasiert . Will Eva am Ende gar nicht mehr die bärtige Frau hier im Zirkus sein? Und gibt sie es nur nicht zu, weil sie sich für ihre Entscheidung schämt? fragte er sich und nahm sich vor, später noch einmal in Ruhe mit ihr zu sprechen.
    „Tut mir leid“ schluchzte die bärtige, bartlose Frau, „jetzt falle ich wohl für einige Zeit aus – und das, wo Marjorie uns gerade verlassen hat!“ Mein Gott, dachte Figgins, daran habe ich ja noch gar nicht gedacht. “Verdammte Scheiße“ murmelte er, „und was machen wir jetzt?“
    Eva räusperte sich. „Naja, ich – ich hätte da einen Vorschlag…“

Die Tanzlehrerin
    Liebevoll sortierte Madame Malakhov die alten Schallplatten, die auf einem schmalen Regal an einer der Wände des Tanzsaals aufgereiht waren. Üblicherweise verwendete sie sie für den Unterricht mit Helena, die nun jedoch bereits zum zweiten Mal die Tanzstunde versäumte. Die Lehrerin seufzte; sie konnte sich denken, wohin das junge Mädchen gegangen war. Vielleicht ist es besser so , dachte sie sich. Wer weiß, was Mister Graysoul mit ihr angestellt hätte. Allzu oft hatte Madame Malakhov das Stöhnen der zahllosen
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